Schmerzverliebt
hat. Ihre ganze Familie ist gegen mich. Außerdem habe ich gestern Schluss gemacht, nicht sie.«
»Trotzdem kann man seine Meinung ändern.« Andreas nippt an seinem Weinglas, sieht Sibylle an. »Erinnerst du dich noch an unseren ersten großen Streit?«
Sie lächelt. »Ziemlich gut. So einen schönen Blumenstrauß hattest du mir bis dahin noch nicht geschenkt.«
»Bringt ihn bloß nicht auf dumme Gedanken«, wirft Sebastians Vater ein. »Dann will er seine Pia nachher wieder mit in den Urlaub nehmen!«
»Ach so?«, fragt Andreas auf einmal ziemlich reserviert.
»Da hätten wir ja auch noch ein Wörtchen mitzureden«, bemerkt Sibylle.
Andreas zuckt die Schultern. »Wenn sie gut kochen kann, würde mich das nicht stören.«
»Das kommt sowieso nicht mehr in Frage«, ruft Sebastian aufgebracht. »Aber ich mache mir einfach Sorgen um sie … ich weiß nicht, ob ich das sagen soll, ich darf es eigentlich nicht.«
»Was darfst du nicht sagen?« Sein Vater knufft ihn kameradschaftlich in die Seite. »Seit wann haben wir Geheimnisse, Sportsfreund?«
Sebastian zögert. Doch dann erzählt er. Von der Wucht, mit der ihn Pias Liebe getroffen hat, von dem Schock, den er hatte, als sie ihre Rasierklinge aus dem Portemonnaie holte, von der Ohnmacht, die er empfand, als sie sich in der alten Schalterhalle verletzte. Nachdem er geendet hat, schweigen alle einen Moment.
»Puh.« Sein Vater legt ihm den Arm um die Schultern. »Jetzt weiß ich auch, warum du so wütend reagiert hast, als ich sie eine hyperempfindliche Mimose genannt habe. Das tut mir im Nachhinein natürlich Leid. Aber dass es so schlimm ist, konnte ich schließlich nicht ahnen.«
»Ruf sie doch einfach mal an«, schlägt Sibylle vor. »Frag sie, ob’s ihr gut geht. Einfach so, als Freund.«
»Stimmt. Das würde ich auch machen«, sagt Andreas. »Wie es aussieht, braucht das Mädchen dringend eine Therapie. Und nicht nur sie, sondern wahrscheinlich ihre ganze Familie. Ich glaube zwar nicht, dass man ernsthaft einen Suizidversuch befürchten muss, aber anrufen würde ich sie an deiner Stelle auf jeden Fall.«
Sebastian sieht seinen Vater an. Der nickt.
»Okay, dann mach ich das jetzt.«
Sebastian holt sich das Telefon und geht damit in sein Zimmer. Zuerst hört er sich den Pop-Song an, der ihn an Pia erinnert, dann isst er noch einen Apfel zur Stärkung, setzt sich wieder auf sein Bett. Es ist kurz vor fünf. Die Party hat sicherlich noch nicht begonnen, aber einige Gäste werden schon da sein. Er muss also davon ausgehen, dass Pia nicht viel Zeit für ihn haben wird. Noch einmal lässt er den Popsong laufen, dann wählt er die Nummer ihres Handys. Ausgeschaltet. Mist! Also muss er den normalen Telefonanschluss anwählen, wobei er natürlich Gefahr läuft, Benne an den Hörer zu bekommen. Um besser denken zu können, schiebt er noch einen Schokoriegel nach. Die Diät kann warten. Seine aufreibende Beziehung zu Pia verlangt nach Nervennahrung.
Es klingelt etliche Male, bis jemand abnimmt. Im Hintergrund sind viele Stimmen zu hören, Partymusik, Gläserklimpern. Dann meldet sich Benedikt.
»Hier ist Sebastian. Hi. Ist Pia da?«
»Was gibt’s? Hast du mich angezeigt?«
»Das spielt jetzt keine Rolle. Ich möchte Pia sprechen.«
»Die ist nicht da.«
»Wieso? Ihr feiert doch eine Party.«
»Ja!«, ruft Benne wütend. »Wir feiern meine Party, und du«, seine Stimme wird jetzt leise, »du wirst mir das nicht kaputtmachen. Ich hab mich für den Schlag entschuldigt, mein Vater hat euch sogar eingeladen, heute mit uns zu feiern, also, was willst du jetzt noch?«
Sebastian spürt, wie er unruhig wird. Wenn Benne jetzt sagt, seine Schwester wolle ihn nicht sprechen, wird er nie wieder anrufen, das ist sicher.
»Ich wollte nur noch mal kurz mit Pia reden«, wiederholt er.
»Und ich hab gesagt, dass sie nicht da ist! Glaub mir oder nicht! Sie ist im Krankenhaus! Man hat ihr gestern gesagt, dass sie heute noch mal wiederkommen soll.«
»Was?« Sebastian bricht der Schweiß aus. Er muss wissen, ob sie es wieder getan hat, aber das kann er Benedikt unmöglich fragen.
»Was hat sie denn?« Er kommt sich vor wie ein Detektiv, der nicht zu viel preisgeben darf. »Ist sie verletzt?«
Benedikt schweigt. Sebastian hält den Atem an.
»Sie hat einige Verletzungen«, sagt Benne auf einmal sehr leise, und geheimnisvoll fügt er hinzu: »Auch schwerwiegende.«
Sebastian bekommt es mit der Angst zu tun. »Schwere? Oh Gott«, flüstert er, »das ist alles meine
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