Schmetterlingsscherben
Überall roch es nach ihr und mein Magen zog sich zusammen, als ich den Raum betrat.
Mir stoben die Tränen in die Augen, ohne dass ich es hätte verhindern können. Mit zittrigen Fingern griff ich nach ihrem Kopfkissen und vergrub mein Gesicht darin.
Auf ihrer Kommode stand ein Foto von mir zwischen all ihren Parfümflaschen und Schmuckschatullen. Ich öffnete einige davon, ohne irgendetwas zu entdecken, das ich wiedererkannte.
Erst in der letzten Schublade fand ich eine kleine, sehr fein gearbeitete Brosche, die ich als Kind immer bewundert hatte und bei der meiner Mutter mir jedes Mal wieder versprochen hatte, dass sie eines Tages mir gehören würde. Jetzt im Nachhinein kam mir das grausam vor und ich hätte alles dafür gegeben, diese dämliche Brosche gegen das Leben meiner Mutter einzutauschen. Aber ich wusste, dass das nicht gehen würde. Meine Ma war weg. Für immer.
Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich musste dringend hier raus. Mit einem Satz war ich auf den Beinen, rannte die Treppe hinunter und stürmte aus der Haustür. Erst, als ich draußen an der frischen Luft war, schnappte ich mehrmals nach Luft und lehnte mich an die kalte Hauswand.
«Alles okay, Louise?» Mein Vater sah besorgt aus, als er durch die Tür kam. Ich nickte stumm und schloss einen Moment die Augen. «Können wir wieder los, Pa?»
«Natürlich, Liebes. Wenn du das willst.» Er verschwand wieder im Haus, um die Kiste mitzunehmen, die er zusammengeräumt hatte.
«Ich habe noch einen Termin bei einer Maklerin, die mir helfen wird, das Haus zu verkaufen. Soll ich dich am Friedhof absetzen, damit du das Grab besuchen kannst?»
«Nein. Bloß nicht.» Ich war kein Fan von Friedhöfen. Zum einen hielt ich nicht viel davon, Leute zu besuchen, die sowieso schon tot waren und davon nichts mehr mitbekamen. Auch wenn es meine Ma war. Ich verband mit ihr alles, aber keinen Friedhof und so sollte es auch bleiben. Und außerdem hatte ich mal eine furchtbare Halluzination von einer Leiche gehabt, die aus ihrem Grab gestiegen war und auf mich zugekommen war. Seitdem mied ich die Toten großräumig.
«Willst du lieber in die Stadt? Oder ein paar alte Freunde besuchen?», fragte er bittend. Offenbar hatte er ein schlechtes Gewissen, wenn er mich im Auto warten ließ. Die Wahrheit aber war, dass ich auch an meiner neuen Schule kaum Freunde gefunden hatte. Der einzige Vorteil an Hannover war die Anonymität gewesen. Ich war für alle anderen quasi unsichtbar gewesen.
«Wie wäre es, wenn du mich beim Krankenhaus absetzt, dann können die mir den Gips abnehmen», schlug ich also stattdessen vor. Mein Vater war sichtlich erleichtert über diesen Vorschlag und nickte zustimmend. Ich dirigierte ihm den Weg zu der Klinik, in der ich nach dem Unfall so viele Wochen verbracht hatte, und verabschiedete mich von meinem Vater.
Natürlich hatte ich keinen Termin und dazu kam auch noch, dass es Wochenende war, sodass ich Ewigkeiten im Wartezimmer rumsaß, bis sich irgendein Azubi schließlich dazu erbarmte, mir den blöden Gips abzunehmen.
Mein Vater wartete bereits auf mich, als ich endlich mit zwei freien Füßen (und nur einem Schuh) aus dem Gebäude humpelte. Den angeknacksten Fuß konnte ich noch nicht ganz belasten, aber es wurde mit jedem Schritt besser.
Offenbar hatte der Termin mit der Maklerin nicht länger als eine Stunde gedauert, denn mein Vater war anschließend noch einkaufen gefahren und hatte trotzdem noch warten müssen, bis ich endlich den blöden Klumpfuß losgeworden war.
«Die Maklerin meinte, wir bekommen einen guten Preis für das Haus», erzählte Rüdiger, sobald ich im Auto saß und meinen Fuß vorsichtig hin und her bewegte, um zu testen, ob wirklich alles wieder heile war.
«Das ist schön, Pa», nickte ich und kratzte mich am Knöchel. Das hatte ich schon seit zwei Wochen tun wollen.
«Und du willst nichts mehr von dem haben, was jetzt noch da ist?», fragte er. «Du kannst alles mitnehmen, was du willst!»
«Auch den Fernseher?», grinste ich. Rüdiger verzog das Gesicht und ich lachte los. «Schon gut, Paps. Ich komme auch ohne irgendwie klar.»
«Wir haben jede Menge Bücher zu Hause.»
«Ich weiß.» Ich verdrehte die Augen. «Aber ich brauche wirklich nichts mehr aus dem alten Haus. Verscherbele es alles, ich will nichts mehr davon sehen.»
Mein Vater schwieg, also hörte ich wieder Musik und starrte auf die Straße nach draußen, während wir Hannover hinter uns ließen.
Es war
Weitere Kostenlose Bücher