Schmidts Einsicht
brauche nicht dazubleiben und beim Mittagessen zu helfen, auch nicht beim Aufräumen und Abwaschen, und wenn sein Gast Mrs. Verplanck anrufe, solange er unterwegs war, solle sie sagen, daß er in spätestens einer Stunde wieder zu Hause sei und zurückrufen werde. Zwar glaubte er nicht, daß ihr Handy in den USA funktionierte, aber andererseits konnte es sein, daß sie das Telefon des Taxifahrers benutzte. Beschwingt und besorgt zugleich holte er seinen Audi Kombi aus der Garage – den Nachfolger des Volvo, den er mit Bedauern abgegeben hatte, als die 200 000-Kilometer-Marke überschritten war –, fuhr zuerst nach Wainscott, um Fischsuppe einzukaufen, dann auf der Fernstraße 27 zurück zu Sesame, wo er Brot und Käse und Ravioli in brodo zum Mittagessen am Neujahrstag und Croissants für Alice zum Frühstück besorgte, und schließlich holte er in Bridgehampton die vorbestellten Blumen für den Küchentisch und Alices Zimmer ab. Damit war alles im Haus, was sie am Neujahrstag brauchen würden, wenn in den Hamptons nur noch die Minimärkte geöffnet waren. Auch die Restaurants waren dann geschlossen, aber um die Abendessen brauchte er sich nicht zu kümmern. Sie würden zu Mike Mansours Silvesterparty gehen, und Gil und Elaine Blackman hatten Alice und ihn zum Dinner am Neujahrsabend eingeladen, eine fürsorgliche Geste, für die Schmidt geradezu kindlich dankbar war.
Alice hatte am Freitag, dem Tag nach Weihnachten, angerufen und gesagt, sie werde Silvester mit einem Flugzeug aus Paris kommen, das um zehn Uhr dreißig am Kennedy Airport landen sollte. Sie müsse dann zwar im Morgengrauen aufstehen, aber das nehme sie lieber in Kauf als den Verkehrsstau auf der Autobahn und die Menschenmassen im Flughafen, denen sie begegnen würde, wenn sie einen späteren Flug nähme. Sie wollte sich nicht darauf einlassen, daß er sie abholte, sie verbot es sogar ausdrücklich. Aber sie nahm sein Angebot an, ein Auto zu schicken, das sie nach Bridgehampton bringen würde. Nach dem Telefonat ging er auf die hintere Veranda, stand dort reglos und ließ in sich einsinken, was sie gesagt hatte. Alice kam wirklich! Er hatte sich wieder und wieder selbst versichert, daß sie ihm nicht absagen, daß sie nicht erklären werde, sie habe beschlossen, ihn doch nicht zu besuchen, so etwas würde sie nicht tun, dazu war sie viel zu ernsthaft. Trotzdem war es wie ein Wunder, als er sie tatsächlich am Telefon sagen hörte: Ich werde den und den Flug nehmen und dann und dann am Flughafen in New York ankommen, und du kannst jemanden schicken, der mich dort abholt und zu dir nach Hause bringt. Er hatte kurz erwogen, Bryan zu schicken – seinen Heimwerker, Hausbewacher und Katzenversorger in Personalunion –, der alle Seiten- und Nebenstraßen kannte, war dann aber zu dem Schluß gekommen, daß das Geschwätz dieses redseligen Aussteigers und bekehrten Dealers Alice nach acht Stunden im Flugzeug nicht zuzumuten sei. Wenn Bryan unabkömmlich war oder wenn Schmidt einen Vorwand fand, sich seiner Gesellschaft zu entziehen, ohne ihn zu kränken, beschäftigte er einen runzligen Iren mit dem Hol- und Bring-Dienst vom und zum Flughafen. Dieser Mann sollte Alice abholen; Schmidt schärfte ihm ein, bereits weit vor der erwarteten Landezeit des Flugzeugs in der Ankunftshalle hinter der Zoll- und Paßkontrolle zu warten und ein Schild mit Alices Namen gut sichtbar hochzuhalten.
Er sah auf die Uhr. Halb zwölf. Sie mußte inzwischen auf dem Long Island Expressway sein. Da er auf der Webseite der Air France nachgesehen hatte, wußte er, daß das Flugzeug fünfzehn Minuten vor der Zeit gelandet war. So früh am Vormittag waren die Warteschlangen vor dem Einreiseschalter sicher nicht lang, auch vor einem Feiertag nicht. Deshalb war sie wohl, falls sich keine Probleme mit der Gepäckausgabe ergeben hatten, gegen elf Uhr fünfzehn ins Auto gestiegen und müßte anderthalb bis zwei Stunden später vor seinem Haus ankommen. Das war eine vorsichtige Schätzung. Sie kalkulierte ein, daß der Verkehr womöglich zähflüssig war und daß Murphy die Neigung hatte, alle Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten, was ihm nicht wirklich vorzuwerfen war. In einem vorübergehenden Rückfall in seine Zeiten als schwerer Trinker gönnte sich Schmidt einen doppelten Bourbon, warf einen Eiswürfel ins Glas und setzte sich in seinen Schaukelstuhl. Der Küchentisch war mit dem guten Porzellan und Silberbesteck gedeckt. Der rote Blumenschmuck rundete das Bild hübsch ab. Am
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