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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Zustand seines Haushalts war nichts auszusetzen. Er konnte beruhigt in seinem Stuhl schaukeln und an seinem Whiskey nippen. Um ein Uhr klingelte das Telefon. Es war Murphy, der meldete, daß sie in der Nähe von Water Mill waren. Der Mann war gescheiter, als er aussah! Sie kamen zügig voran. Also würden sie in fünfzehn Minuten dasein.
    Sein sechster Sinn meldete ihm, daß der Wagen sich der Einfahrt näherte. Er trank seinen Whiskey schleunigst aus und hastete zum Vordereingang. Jemand hatte Murphy eingeschärft, er müsse respektvoll mit dem Kies in den Einfahrten seiner Kunden umgehen. Der Wagen rollte im Schneckentempo auf das Haus zu. Endlich hielter. Schmidt öffnete die Tür. Die Hand, die seine fest umschloß, steckte in einem langen Handschuh aus dunkelrotem Veloursleder, den er wiedererkannte. Er gehörte zu jenem Paar, das Alice getragen hatte, als sie sich vor zweieinhalb Monaten, am vierzehnten Oktober im Restaurant an der Rue de Bourgogne mit ihm zum Abendessen traf.
    Zum ersten Mal hatte Schmidt Alice gesehen, als sie Tim Verplanck heiratete, einen jungen Mitarbeiter bei W & K, den er besonders schätzte. Die Hochzeit fand in einer Kirche in Washington statt. Damals war Alices Vater französischer Botschafter in den Vereinigten Staaten. Am Nachmittag beim Empfang in der Botschaft tanzte Schmidt mit ihr. Weiße Freesien steckten in ihren Locken, die die Farbe von altem Gold hatten, und sie trug einen wallenden Schleier aus elfenbeinweißer Spitze, der nach Marys Meinung ihrer Großmutter gehört haben mußte. In den Monaten und Jahren danach hatte es einige Essen in der Wohnung der Schmidts gegeben – Mary hätte gewußt, wie viele, sie merkte sich solche Dinge –, bei denen sie, wie bei W & K üblich, Nachwuchsanwälte, die für ihn arbeiteten, samt Ehefrauen oder Verlobten zu Gast hatten; außerdem die Essen mit anschließendem Tanz, zu denen die Kanzlei einmal im Jahr alle Anwälte und Ehefrauen einlud, und später, als Tim Vollmitglied der Kanzlei geworden war, Dinner in kleinerem Kreis für die Sozii und ihre Frauen. Alices Schönheit, ihr Schick und ihre vollkommen aufrechte Haltung, die Art, wie sie den Kopf mit dem schweren, zum Knoten geschlungenen oder im Nacken mit einer Spange zusammengehaltenen Haar hoch trug, machte Schmidt jedesmal sprachlos, verschlug ihm buchstäblich den Atem. Sie hatte die unerschütterlich guten Manieren einer Diplomatentochter. Die Erinnerung an ihre schwindelerregend langen, vollkommenen Beinewar ihm besonders teuer. Die Gelegenheit, diese Beine zu bewundern, ergab sich für die gesamte Kanzlei, als Alice zu einem Firmenfest in feuerrotem Minirock und schwarzen Netzstrümpfen erschien, so aufregend gekleidet, daß keine der anderen Ehefrauen sich auch nur annähernd mit ihr messen konnte. Aber weder damals noch zu einem anderen Zeitpunkt hatte Schmidt sie begehrt, nicht, solange Tim lebte, das konnte er beschwören. Affären innerhalb der Kanzlei, ehebrecherische erst recht, waren für ihn tabu, so wie seiner Meinung nach für alle anderen anständigen Männer seiner Klasse und Generation auch. Noch ein anderer, weniger rechtschaffener Grund hatte ihn zurückgehalten: Als Mary noch lebte, hatten alle Frauen, die seine Lust weckten, etwas Zwielichtiges an sich. Das waren Frauen, die er in Hotelbars aufsammelte, oder eine Jurastudentin, mit der er – was unverzeihlich war – Pot geraucht hatte, als er an der Westküste Nachwuchs für die Kanzlei anwerben sollte. Die einzige Ausnahme war das halb asiatische Au-pair-Mädchen gewesen, das sich damals um Charlotte kümmerte. Dieses schüchterne, höfliche Mädchen hatte sich ihm angeboten, ganz unschuldig und zugleich so unmißverständlich und drängend, daß Klugheit und Prinzipien sich in Luft auflösten. Selbst wenn er sich erlaubt hätte, Alice zu begehren, hätte er sich die Vorstellung verboten, daß sie sich zu einem Abenteuer am Nachmittag auf ihrem Wohnzimmersofa oder in einem Touristenhotel in der Stadt bereit finden würde. Einen solchen Vorschlag hätte sie mit Verachtung zurückgewiesen. Sie liebte Tim, und selbst wenn in ihrer Ehe etwas nicht zum besten stand, wofür er allerdings keinen Anhaltspunkt hatte, war sie für eine schmutzige Affäre mit Schmidt oder einem anderen verheirateten Kollegen ihres Manns zu nobel, zu stolz – ein chevalier sans peur et sans reproche , hätte Schmidt vielleicht gesagt, wäre sie einMann gewesen. Dann verschwand sie aus Schmidts Blickfeld. Er verlor die ganze

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