Schmusemord
war wohl kaum daran interessiert zu erfahren, was Czerny herausgefunden hatte. Er wollte vermutlich nur eines: sicherstellen, daß das Material niemandem nützte. Die Männer sollten alles, was ihn belasten konnte, verbrennen – zerstören – ertränken. Was auch immer. Metzler war gefoltert worden und tot. Lanzerath belastende Dinge, die Albin Czerny zusammengetragen hatte, lagen wahrscheinlich als Aschehäufchen im großen Wohnzimmerkamin von La Bohème.
Und alles, was die Männer auf dem Tisch gesammelt hatten, hätte noch verbrannt werden sollen? Oder war es zum Mitnehmen gedacht, zweiter Teil des Auftrags? Alles verbrennen, was Lanzerath belastet, und alles mitbringen, was Lanzerath verwenden kann, um andere zu behelligen ... Nicht ausgeschlossen. Aber für Matzbach nutzlos. Der Stapel bestand fast ausschließlich aus Papieren, die Elias Jüssen betrafen: Zeitungsausschnitte, alte Pressefotos, Kopien von Briefen, ein wirrer Haufen hingesudelter Notizen, die ebenso einer Hagiographie über wie einer Polemik wider Jüssen dienen konnten.
Jüssen. Aber wieso Jüssen? Wozu schickte Lanzerath Leute nach Frankreich, ins hinterste Morvan, um dort Papiere über Jüssen zu stehlen? Elias Jüssen, beliebt, umgänglich, philanthropisch, karitativ – und all dies so gründlich, daß es unglaubwürdig war. Wollte Lanzerath herauskriegen, ob Jüssen nicht doch irgendwo dreckige Wäsche versteckt hatte? Wollte er etwas gegen ihn in die Hände kriegen, um ihn zu etwas zu zwingen?
Plötzlich bildete er sich ein, das Klick-klick-klick im eigenen Kopf wahrhaftig hören zu können. Er schnalzte leise, machte das Licht an, setzte sich auf, nahm sich die Papiere wieder vor.
Die beiden Fotos, die er suchte, waren ihm beim ersten Durchgang nicht weiter aufgefallen. Er hatte sie gesehen, sogar betrachtet, aber irgendwie nicht weiter beachtet. Nun hielt er sie in der Hand. Valentin (alias Poldi) Schmollgruber, in der Uniform der Wehrmacht, vor einem eindeutig französischen Bistrot, daneben ein Mann, der kaum Ähnlichkeit mit dem heutigen Elias Jüssen hatte; außer, wenn man sehr genau hinsah. Matzbach sah sehr genau hin. Das zweite Bild zeigte die beiden genannten Herren, diesmal in Zivil, mit einem elegant gekleideten Dritten. Das erste Bild war eindeutig ein Portrait: Jüssen und Schmollgruber lächelten in die Kamera. Das zweite Foto mochte ein Schnappschuß sein, jedenfalls sah keiner der drei Männer den Betrachter direkt an. Wer war der dritte Mann, abgesehen von Orson Welles? Matzbach drehte das Bild um; mit hauchdünnem Bleistift war dort etwas gekritzelt. Initialen? Ungewiß; vielleicht ließe sich mit einer Lupe etwas daraus machen. Etwas Beweisbares, für juristisch relevante Personen; sich selbst mußte er nichts beweisen. Er kannte den Mann zwar nicht, ahnte aber, um wen es sich handelte. Die Bilder in Corgoloins Büchern hatten ihn deutlicher gezeigt, aber das waren eben Portraits gewesen, nicht Schnappschüsse bei weggedrehtem Gesicht ...
Wenn es stimmte, dann wußte er auch, wie die Dinge zusammenhingen, warum Lanzerath seine Leute losgeschickt hatte und wieso Czerny und Metzler hatten sterben müssen.
Eine andere Frage war, ob sich irgend etwas davon beweisen ließe. Matzbach löschte das Licht und grinste ins Dunkel. Wenn er mit seinen Mutmaßungen richtig lag, dann hatte ihm jemand gleichzeitig einen guten Hinweis gegeben, wie mit unbeweisbaren Dingen zu verfahren war.
9. Kapitel
Man will die Todesstrafe abschaffen? Mögen die Herren Mörder damit beginnen.
A LPHONSE K ARR
Er konnte höchstens ein paar Minuten geschlafen haben, als er an der Hand durch ein Dimensionsloch aus dem Schlummer in die Realität gezerrt wurde. So jedenfalls fühlte sich alles an.
Hermine saß auf der Bettkante, neben ihm; sie hielt seine Hand und blickte ausdauernd aufs Telefon. Offenbar war sie schon länger wach. Sie schien geduscht zu haben und war angezogen.
»Neun Uhr durch«, sagte sie. »Eben hat der Empfang angerufen, um das zu sagen.«
»Hatte ich unten hinterlassen.« Er brummte, hörte sich selbst wie durch Glaswatte.
»Hab ich mich sehr blöd angestellt?« Immer noch betrachtete Hermine das Telefon.
Baltasar richtete sich halb auf, belastete die Ellenbogen, rieb mit dem Daumen Hermines Handrücken und verzog das Gesicht. Er hoffte, daß es als Lächeln durchging, nicht als monströse Maske.
»Geht so«, sagte er. »Kuck mich mal an.«
Sie riß sich vom Telefon los.
»Ah, du bist das. Jetzt erkenn ich dich
Weitere Kostenlose Bücher