Schmusemord
Matzbach angestellt; ich wollte ihn nur daran hindern ...« Unwahrscheinlich; um alle Einzelheiten einem abwesenden Matzbach in die Pantoffeln zu schieben, brauchte man extrem viel Phantasie und Logik. Lanzeraths Hooligan würde sich schnell in den wirren Fäden verheddern, die er zwischen seinen Widersprüchen oder Ungereimtheiten spinnen, aber nicht rot färben konnte. So, wie die Männer in Brenig aufgetreten waren, handelte es sich um Profis, trotz der Leichtfertigkeit, mit der sie auf das Feuer reagiert hatten. Profi, vermutlich nicht zum ersten Mal in der Situation, einigen Polizisten etwas erklären zu sollen. Profi, der nach dem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit wahrscheinlich überhaupt kein Französisch kann und wegen des Schlags auf den Schädel auch dann noch an Amnesie leidet, wenn der erste verfügbare Dolmetscher auftaucht.
Aber die Beamten würden sich umhören, und früher oder später – früher, wenn jemand von sich aus zum Telefon griff – würden sie erfahren, daß ein Mensch mit fettem BMW und Bonner Kennzeichen sich in einem nahen Restaurant nach La Bohème und den dort weilenden Herren erkundigt habe. Sorgfältige Recherche würde ergeben, daß dieser Mensch in Begleitung einer Dame diverse Läden aufgesucht und eine Wanderkarte sowie einen Bohrer gekauft hatte – zunächst namenlos, da bar, nicht mit Kreditkarte.
Unwahrscheinlich, daß dies sehr bald zusammengetragen würde; er dachte an seine alte Feststellung, daß die unwahrscheinlichen Zufälle immer mit ihm seien. Und er beschloß, sich diesmal nicht darauf zu verlassen.
Wohin würde der namenlose Bohrerkäufer, bei dem es sich (nach den schließlich doch erfolgten Auskünften des verletzten Genossen) um einen gewissen Matzbach handeln mußte, wohl flüchtend seine Schritte lenken? Der teuren Heimat zu, gewißlich doch.
Also mußte er zusehen, daß er so schnell wie möglich in einer Gegend, die nicht zwischen Porcmignon und Deutschland lag, den Wagen verlor. Und das hätte er eigentlich von vornherein einkalkulieren sollen, sagte er sich; statt einen Fluchtwagen zu mieten (bar bezahlt, anonym – aber irgendwas an Papier hätte man schon zeigen müssen, am besten Hermines Führerschein), hatte er auch noch vollgetankt. O Verschwendung.
Er tätschelte das Lenkrad. Alles sehr verwickelt, fand er. Wenn die bösen Buben nicht in Brenig die Reifen der DS malträtiert hätten, wäre er mit dem Citroën gefahren und müßte nun Abschied von der göttlichen Pallas nehmen.
Nach Süden bis Châtillon-en-Bazois, dann westlich Richtung Nevers und Bourges; Vierzon mochte ein guter Ort sein, um die Reise mit der Bahn oder einem Leihwagen fortzusetzen. Vierzon – da war doch was. Brel; richtig.
T’as voulu voir Vierzon et on a vu Vierzon
... Eigentlich Vesoul. Aber nicht morgens um halb drei. Nicht ganz zweihundert Kilometer Landstraße. Ziemlich spät, und Vierzon kannte er nicht. Bourges dagegen wohl. Etwas näher; in Bourges gab es ein Ibis-Hotel, in dem vielleicht noch etwas frei war und zweifellos ein Nachtportier Dienst tat. Er erinnerte sich an ein großes, vollautomatisches Parkhaus nicht weit von der Kathedrale. Gute Möglichkeit, den BMW zu verlieren – aber schlecht, den Wagen in einem Ort zu lassen, in dem man ein Zimmer nehmen wollte und wo später vielleicht jemand Hotelzettel kontrollieren würde.
Er schaute auf die Armbanduhr – keine zwei Minuten, seit sie eingestiegen waren. Zünden. Der Motor surrte, und Baltasar überlegte, ob er das für eine Aufforderung oder einen Protest halten sollte; dann streifte er Hermine mit einem vorsichtigen Blick. Sie saß in einer unbequemen, verspannten Haltung da, eine Hand um den Gurt gekrallt, die andere wie eine Tarantel auf dem Schoß, die Augen starr geradeaus, als ob sie damit Löcher in die Nacht brennen wollte.
Er räusperte sich. »Um Vergebung – funktionierst du?«
»Mhm.« Sonst nichts – kein Nicken, keine Bewegung der Augen, keine Änderung der Haltung.
»Ich hab mir folgendes überlegt.«
Aber er hatte noch keine zwei Sätze gesagt, als ein Wagen mit quietschenden Reifen an ihnen vorbeiraste. Es war der Peugeot, von Metzler vermutlich am Flughafen Dijon gemietet. In dem eigentlich nur einer sitzen konnte: der verletzte Kölner, den Matzbach für längerfristig bewußtlos gehalten hatte.
Damit waren alle Überlegungen erledigt; Baltasar brach ab, grunzte und beschleunigte. Er bemühte sich, unauffällig Abstand zu halten, ohne den Peugeot aus den Augen zu
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