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Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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verlieren. Wohin?
    Lormes. Nach Norden, die D 944, Richtung Avallon. 29 km, dann weitere 10 km nach Osten zur nächsten Autobahnzufahrt. Und dann? Dijon – Besançon – Mulhouse – Freiburg und so weiter? Oder von Dijon nach Norden, über Nancy, Metz, Luxembourg und ein paar Kilometer Landstraße bei Trier? Und die nächste schwierige Entscheidung: was tun? Wenn er allein im BMW gesessen hätte, wäre die Frage schnell beantwortet gewesen. Mit dem viel stärkeren BMW den Peugeot möglichst noch hier, zwischen Lormes und Avallon, überholen, schneiden, in eine Schlucht oder gegen einen Baum drücken. Aber so, wie Hermine sich im Moment befand, fühlte, verhielt, was auch immer ... Unmöglich. Dranbleiben, bis der Mann irgendwann tanken mußte, dann aussteigen und ihm die Browning an den Schädel halten? Genauso unmöglich; nicht zu reden von Tankstellenpächtern, die nicht immer blind waren und bisweilen sogar über Telefone verfügten. Immerhin – der Mann hatte überlebt, würde der französischen Polizei nichts erzählen, und bis jemand auf den Gedanken kam, kilometerweit rechts und links von La Bohème nach bösen Ausländern zu fragen, müßten noch etliche Stunden vergehen. Wobei es ja sogar denkbar war, daß ein französischer Wirt an Teilamnesie litt, ausgelöst durch Schnaps und Besucher aus der Touraine. All dies. Oder vielleicht doch etwas anderes?
    Er balgte sich mit diesen Überlegungen, während andere Gedanken ihn zankten. Hermine saß starr und stumm neben ihm. Als sie auf der Autobahn nach Osten donnerten, der Peugeot immer am Rande der Sichtweite voraus, versuchte Matzbach, einige seiner Grundüberlegungen so weit zu sortieren, daß er sie Hermine mitteilen konnte. Sie lauschte, ohne viel dazu zu sagen.
    In Dijon verloren sie den Peugeot beinahe, sahen ihn vor einer Tankstelle stehen und den offenbar nicht ernsthaft verletzten Mann mit dem Zapfhahn hantieren. Er humpelte ein wenig, als er zur Kasse ging.
    Weiter. Es gab immer noch etliche Möglichkeiten. Norden, Osten, notfalls sogar Südosten, wo der Flughafen lag; allerdings bezweifelte Matzbach, daß der Angeschossene nun ordentlich einen von Metzler geliehenen Wagen zurückbringen und sich von Kontrolle zu Kontrolle humpelnd im Flughafen amüsieren würde – am Morgen, und bis dahin? Däumchen drehen?
    Und während Matzbach lautlos fluchte, hin- und hergerissen zwischen Rücksichtnahme auf Hermine und den Varianten sinnvoller Beendigung einer unerfreulichen Begebenheit, fuhr der Peugeot aus der Stadt hinaus nach Südosten, vorbei am Flughafen, Richtung Autobahnkreuz, ohne zu blinken oder zu bremsen. Baltasar hielt Abstand, ließ den Peugeot Richtung Besançon brettern und lenkte den BMW auf die A 31 Richtung Nancy, die er bei der nächsten Ausfahrt wieder verließ. Um fünf nach halb drei erreichten sie eines der diversen Kettenhotels im Industrie-und-Tourismus-Purgatorium von Dijon-Nord; dort war noch ein Doppelzimmer zu haben. Der Nachtportier verzichtete auf den Meldezettel; er begnügte sich mit einem 100-Francs-Schein von Matzbach und einer Kreditkarte von Hermine, half ihnen mit dem Gepäck, brachte zweimal Perrier und zwei in Plastik verpackte Sandwiches und wünschte Madame et Monsieur Pèfe-Gêne eine angenehme wiewohl vermutlich kurze Rest-Nacht.
    Hermine schlief bald. Oder tat so. Matzbach kroch ins zweite Bett und bemühte sich, beim Durchsehen des in La Bohème erbeuteten Materials nicht allzu sehr zu rascheln.
    Als er damit fertig war, fluchte er lautlos. Er schob den Stapel unters Bett, an die Wand, löschte das Licht und versuchte zu schlafen. Statt Schafe zu zählen, zählte er Papiere. Fehlende Papiere. Erhoffte Papiere. Wesentliche Informationen. Unbezahlbare Unterlagen. Nichts von alledem.
    Der Stapel, von Lanzeraths Handlangern auf dem Tisch von La Bohème hinterlassen, enthielt keinen einzigen Verweis auf Lanzerath. Was immer Czerny über den Kölner zusammengetragen haben mochte, fand sich nicht bei den Papieren, die unter Matzbachs Bett ruhten, in dem er ruhelos lag. Er verfluchte sich, daß er nicht ein paar Minuten mehr dazu aufgewendet hatte, das Haus selbst noch zu durchsuchen. Ein paar Minuten mehr oder weniger ... Sie hätten dann ein bißchen schneller durchs Gestrüpp stolpern müssen, aber ...
    Wahrscheinlich wäre es trotzdem vergebens gewesen. ›Es ist alles eitel‹, dachte er. Die Männer hatten zweifellos nicht den Auftrag erhalten, ihren Chef mit Dingen zu versehen, die ihn selbst belasteten. Lanzerath

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