Schmusemord
schüttelte den Kopf. »Gib mir das Messer. Ich bleib hier.«
»Wir haben nicht viel Zeit, um nach dem Dritten und möglichen Papieren zu suchen. Allein schaff ich das nicht.«
»Gah.« Hermine schüttelte sich; ihre Hand krampfte sich um den Griff, als er ihr das Messer reichte. »Wenn es denn sein muß ...«
Die Scheibe eines Fensters rechts über dem brennenden Holzstapel platzte, als sie zur Haustür kamen. Hermine blickte angestrengt in eine Richtung, wo der Tote nicht lag. Aber vermutlich, sagte sich Matzbach, würde er für sie überall liegen. Er riß sich zusammen, schob alle derartigen Gedanken beiseite und stieß die Glastür auf.
Drei Schritte bis zur eigentlichen Haustür, die angelehnt war. Er lauschte angestrengt, wartete auf das ferne Heulen von Feuerwehrsirenen, auf Geräusche innerhalb des Hauses, hörte aber nur das Knistern und Knacken des Feuers, das längst begonnen hatte, am Haus zu lecken.
Es war nicht nötig, Licht zu machen; durch die Fenster kam genug Helligkeit. In der Diele gab es nichts Wichtiges zu sehen; Matzbach fühlte eher, als daß er hörte, wie Hermine ihm durch die ebenfalls angelehnte Tür in den großen Wohnraum folgte.
Auf dem Eßtisch lag ein handdicker Papierstapel. Schränke, Truhen, Vitrinen und Kommoden standen offen, vor ihnen lagen Bücher, Geschirr, Kleidungsstücke auf dem Boden. Alles schien gründlich und ohne jede Rücksichtnahme durchsucht, durchwühlt, zertrampelt zu sein.
Die Browning in der Hand durchsuchte Matzbach das Haus. Als er den dritten Mann fand, zögerte er kurz, dann rief er Hermine zu sich, ins Badezimmer.
»Damit du siehst, wen du gekehlt hast«, sagte er absichtlich grob. »Sonst hätte ich es dir erspart.«
Sie trat langsam neben ihn, schaute hinab, hob die Hände an den Hals, wandte sich um und stolperte hinaus.
Arcimboldo Metzler lag nackt in der Badewanne, das Gesicht nach links gedreht. Arme und Hände waren unter dem Rücken, wahrscheinlich gebunden. Eine dünne Schnur hatte sich in seinen Hals gefressen; die Zunge war ein Klumpen im linken Mundwinkel, der Körper übersät mit Schnitt- und Brandwunden.
Sie hatten bereits den größten Teil des vom Feuer unzureichend erhellten Wildwechsels hinter sich, als sie in der Ferne erste Sirenen hörten. Matzbach hielt die mit Papieren gefüllten Jutetasche vor sich, schirmte das Gesicht gegen dornige Zweige ab, brach für Hermine eine Bahn durchs Gestrüpp. Auf dem kleinen Wanderweg blieben sie einen Moment stehen, um nach Luft zu schnappen.
»Was ist mit dem anderen?« sagte sie; abgesehen vom Keuchen klang ihre Stimme fast normal.
»Bewußtlos, angeschossen; den werden die gleich finden. Komm, wir müssen uns beeilen.«
Sie brauchten eine Viertelstunde, um den Wagen zu erreichen. Matzbach warf die Tasche in den Kofferraum, schloß die Beifahrertür auf und wartete, bis Hermine eingestiegen war. Ein Blick auf die Armbanduhr. Zehn nach zwölf. Er ging zur Fahrerseite.
»Nächster Halt irgendwo«, sagte er. »Anschnallen.«
Hermine hatte sich bereits angeschnallt; sie warf ihm einen Blick zu, der aus verstörten Augen zu kommen schien. »Ich hasse dich«, sagte sie leise.
»Weil ich dich nicht mit Gewalt in einem Hotel verbuddelt hab?«
Sie schwieg; auch Baltasar sagte nichts mehr.
Er verstand ihre Reaktion, wenn er sie auch für ungerecht hielt; ›aber in Extremlagen‹, dachte er, ›hilft Gerechtigkeit keinem.
In extremis
braucht man Gnade, Hilfe, vielleicht Ablenkung, ein Wunder, den Trunk des Vergessens, die letzte Bakschisch-Ölung, aber keine Gerechtigkeit. Die nützt nur Justiz-Zeloten, und was denen nützt, ist für gewöhnliche Menschen sinnlos.‹ Dann befand er, daß derlei Überlegungen seiner Definition von
Dunk
genügten und nicht halfen, sondern bestenfalls ablenkten.
Er konzentrierte sich auf das Wesentliche. Zweifellos hatte Metzler, was auch immer ansonsten seine Rolle gewesen sein mochte, Lanzeraths Handlangern gesagt, daß er mit Matzbachs Eintreffen rechnete; vielleicht hatte er auch Hermine erwähnt. Die französischen Feuerwehrleute würden ebenso zweifellos sehr schnell die beiden Toten und den Bewußtlosen finden, der vielleicht nicht mehr bewußtlos war; dieser würde spätestens demnächst auspacken. Oder? Wie erklärt man französischen Untersuchungsbeamten eigene Schußverletzungen, eine mittlere Feuersbrunst, eine Leiche vor der Tür und eine zweite in der Badewanne? Wie erklärt man die Spuren von Folter an der zweiten Leiche? »Hat alles dieser
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