Schnapsdrosseln
Gesicht.
Die Polizei ist da, bei der Hexe. Die Hexe ist schuldig wie die Sünde, und jetzt lügt sie. Sie kann nicht anders, es ist ihre Natur. Sie hat viel zu verbergen. Sie trägt so viel Schuld.
Sie muss verschwinden.
Und mit ihr ihre Schande.
Der Gedanke steht klar in dem Meer aus Hass und Verzweiflung. Sie sitzt im dreckigen Hof, abends säuft sie, trinkt Bier, trinkt Wein. Mit denen, die sie hineinzieht in ihre dreckige Welt. Sie hockt mittendrin, wie eine Spinne. Gestank von Schweiß und Zigaretten überall. Unbegreiflich, dass jemand etwas anderes fühlt als Ekel.
Sie ist schuld. Sie bringt die Dinge durcheinander, macht alles brüchig. Sie saugt das Gute aus anderen heraus, die Hexe, rote Haare, Feuer auf dem Kopf. Nicht echt, natürlich, damals war sie blond, nicht schön und golden, eher aschblond. Asche, die sie jetzt mit Feuer färbt, orangefarbenes Strohfeuer auf dem Kopf.
Der Köter bellt. Kurz, tief, bedrohlich. Alte, hinkende Töle, die längst erschossen gehört.
Es ist ihre Schuld. Alles ist falsch, er hätte nicht tot sein dürfen, nicht tot sein müssen, es ist alles ihre Schuld. Niemand hat ahnen können, wie tief sie ihren Stachel schon in die gute Substanz getrieben hat.
Es ist falsch. Aber es hilft nicht, darüber nachzugrübeln. Es ist zu spät. Jetzt muss man nach vorne sehen. Klug handeln.
Das Hoftor geht auf. Die Polizisten kommen heraus. Sie bleibt in der Tür stehen, sieht ihnen nach. Stützt sich am Türrahmen ab, als wäre sie müde. Lässt den Blick schweifen, zu schnell, zu spät, keine Chance, sie schaut zur Bank. Ruhig bleiben, durchatmen. Sie sieht keine Gefahr. Sie ist selbstherrlich und arrogant, sie ist unvorsichtig, weil sie sich sicher fühlt.
Das wird sich ändern. Das muss sich ändern.
Sie hebt die Hand, deutet ein Nicken an. Scheint Anstalten zu machen, herüberzukommen.
Schnell aufstehen, sich abwenden, gehen, Schritt für Schritt. Weg von der Hexe und dem Köter, weg von all dem Müll und Dreck.
Zurück nach Hause, zurück in die Sicherheit, an den Ort, an dem man die Ruhe findet, den nächsten Schritt zu planen.
Es ist nicht zu Ende. Noch lange nicht.
Es hat gerade erst angefangen.
Der weiße Zwergspitz sprang an Dieter Hottbenders Waden hoch und kläffte in nervenzerfetzender Frequenz. Er musste sich zusammenreißen, um nicht nach ihm zu treten. Er hasste den Köter.
Eigentlich hatte Dieter nichts gegen Hunde. Und eigentlich war ihm klar, dass dieser nichts dafür konnte. Spitze waren Kläffer und Hackenbeißer. Hofhunde, gezüchtet, um Eindringlinge zu melden und zu vertreiben.
»Weg mit dir«, schnauzte er, schüttelte das Bein. »Hau ab!« Der Hund winselte und zog sich zurück. Dieter musterte ihn. Flauschiges weißes Fell, das kleine, dreieckige Gesicht mit dem Schnäuzchen, in dem sich messerscharfe kleine Zähne verbargen. Der Blick war weinerlich. Dieter ignorierte den Appell, der etwas forderte, was ihm nicht zur Verfügung stand. Der Köter hockte sich hin und pisste auf den Gehweg.
Er pisste ständig. Wenn er nicht pisste, dann kläffte er. Das war der Grund, warum er nicht hier draußen herumlaufen durfte. Es war Belästigung für jeden, der das Grundstück passierte. Der Briefträger hatte sich beschwert und auch die Nachbarn. Er hatte mit Elsa darüber gesprochen, mit Elsa und Maxi. Man war zu einer Einigung gelangt. Und trotzdem war er hier, und das war typisch für Elsa. Sie machte ein zerknirschtes Gesicht, gab sich einsichtig und tat dann genau das, was sie wollte.
Dieter drückte erneut den glänzenden Messingknopf, lauschte dem sonoren Gong im Inneren des Hauses. Sein Blick wanderte durch den Garten. Akkurate Beete, bedeckt mit hellem Kies. Als sei der Anblick von Muttererde peinlich. Ein chinesischer Ahorn und andere Büsche, deren Namen er vergessen hatte, standen genau an den Stellen, an denen sie eingeplant waren. Kein Hälmchen Unkraut wagte sich ans Licht. Eine trostlose Wüste der Perfektion, pflegeleicht, geschmackvoll, alles so ästhetisch, dass Dieter davon Kopfweh bekam.
Aber es war nicht sein Garten. Der Garten war Maxis Sache. Er ging ihn nichts an, und im Gegensatz zu anderen Leuten war er imstande, Grenzen zu akzeptieren.
Als er Maxi und Bernd damals das halbe Grundstück angeboten hatte, um dort zu bauen, war er sich darüber klar gewesen, wie wichtig Grenzen waren. Er hatte eine enge Beziehung zu seiner Tochter. Aber sie war erwachsen, und darum war eine gewisse Distanz nötig. Maxi war geblieben, weil sie
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