Schnapsdrosseln
aufzulegen. Sich auf die Arbeit zu konzentrieren und die Sache zu ignorieren.
Aber Elsa war ihre Schwiegermutter. Sie hatte ihren Sohn verloren, sie hatte an Bernd gehangen. Es war egal, wie recht ihr Vater in manchen Punkten hatte. Es war der falsche Zeitpunkt, Elsa zu kritisieren. Sie gehörte zur Familie. Trotz allem.
Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie unkonzentriert fuhr. Jetzt stand die Frau direkt vor ihrer Motorhaube. Sie stand. Es konnte nichts Schlimmes passiert sein. Maxi war langsam gefahren, die Ohligsmühle hinunter von der Lengsdorfer Hauptstraße in Richtung Mühlenbach. Man konnte nicht schnell fahren, hier, das war gut, der Frau war nichts passiert.
Verdammt, das war Anna!
Sie hätte um ein Haar Anna Reuter überfahren. Die letzte Person, die sie sehen wollte im Moment. Sie öffnete die Wagentür und stieg aus.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Bist du verletzt?«
Anna starrte sie an wie ein Gespenst. Sie öffnete den Mund, lachte hässlich. »Nein«, sagte sie. »Nichts ist in Ordnung.« Sie kniff die Augen zusammen. »Entschuldige«, sagte sie dann. »Mein Beileid, Maxi, mein herzliches Beileid.« Die Worte hallten höhnisch über die Motorhaube.
Maxi spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Sie atmete tief durch. »Darauf kann ich verzichten«, sagte sie. »Von jemandem wie dir.«
Annas Gesicht verzog sich. »Ich wollte nur höflich sein«, sagte sie.
Maxis Zorn wuchs. »Höflich, ja? Auf einmal. Nachdem du monatelang meinen Mann verleumdet hast? Uns mit Dreck beworfen, wo immer du konntest? Du mit deiner widerlichen Paranoia. Hast du vielleicht mal eine Sekunde daran gedacht, wie weh das Bernd getan hat? Du hast ihm seinen einzigen Freund genommen, Anna!«
»Freund? Oh mein Gott! Du glaubst den Scheiß, den du da verzapfst, wirklich, oder? Prinzessin Maxi. Da sitzt sie, scheißt Gold und lebt ihr perfektes kleines Leben. Wen interessiert es schon, wer dafür vor die Hunde geht!«
Rot. Maxi hatte das noch nie erlebt, aber auf einmal verstand sie die Redewendung. Da waren rote Flecken vor ihren Augen, klein, aber deutlich. Sie starrte auf Annas Mund, die farblosen, hassverzerrten Lippen. Sie bekam keine Luft.
»Er ist tot!«, keuchte sie. »Jemand hat meinen Mann umgebracht!«
»Irgendwann kriegt jeder, was er verdient!«
Ein Teil von Maxi realisierte, was sie tat. Ein Teil, dem völlig klar war, dass es schrecklich falsch war. Aber sie konnte nichts dagegen tun. Wie ferngesteuert schien die Hand, die sich in Annas Haare verkrallte. Daran zog, während die andere Hand zum Schlag ausholte. Anna wehrte sich. Kratzte, kreischte. Maxi fühlte eine Hand auf ihrer Schulter. Schwer und bestimmend. Jemand zog sie weg.
»Das reicht jetzt«, hörte sie eine Männerstimme, fuhr herum, sah den Mann an, den sie vom Sehen kannte, für den sie keinen Namen hatte.
Sie fühlte sich, als würde sie aus einem Alptraum erwachen. Einem, der trotzdem nicht zu Ende war. Da standen Leute.
Leute, die aus den Autos, die hinter ihr warteten, gestiegen waren. Passanten. Menschen, die sie anstarrten. Weil sie sich gerade öffentlich mit Anna geprügelt hatte.
Maximiliane Nolden. Renommierte Anwältin, frisch verwitwet. Prügelte sich auf der Straße. Ihr wurde übel.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Mann. Nettekoven, fiel Maxi ein, das war Jupp Nettekoven, der da vor ihr stand. Der das Richtige tat, Schlimmeres verhinderte. Dem sie nicht dankbar war, obwohl sie es hätte sein sollen.
Sie nickte. »Entschuldigung«, sagte sie, obwohl es ihm gegenüber nichts zu entschuldigen gab. »Ich habe wohl die Nerven verloren.« Ohne Anna, die auf die andere Straßenseite zurückgewichen war, noch einen Blick zu schenken, stieg sie in ihr Auto und gab Gas.
FÜNFZEHN
»Natürlich ist die Firma im Grunde kerngesund.« Dieter umklammerte den Hörer. »Und ich wünsche Maxi ja auch, dass sie den Laden gut an den Mann bringt. Es wird einige Interessenten geben, das ist klar. Aber du bist mein Freund, und ich möchte, dass das so bleibt …« Er lauschte auf die Antwort. Lächelte dann. »Erhebliche Außenstände«, sagte er. »Maxi macht sich keine Vorstellung, wie sich das unter Umständen auswirkt. Sie ist halt Juristin, sie kennt sich in dem Gewerbe nicht aus. Und ich will sie im Moment nicht damit belasten, sie hat wahrlich genug andere Sorgen … Das muss aber bitte unter uns bleiben. Es ist wirklich nicht einfach für mich. Ein Loyalitätskonflikt. Im Grunde ist der Laden wie gesagt kerngesund. Aber du weißt so
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