Schnee Im Regierungsviertel
unregelmäßigen Steinen. Ihre Kleidung war fast elegant, in jedem Fall teuer. Ein gelbes Seidenkleid mit weit schwingendem Rock lag wie glattgezogen um ihren Körper, und ein paar hochhackige Sandaletten, die in dieser Umgebung seltsam fremd wirkten, standen rechts neben ihren Füßen. Goldreifen am linken Arm und mehrere, offenbar wertvolle übereinandergesteckte Ringe an den Fingern beider Hände sprachen vorerst gegen einen Raubmord. Doch sonst? – Keine Handtasche, keine Mappe oder ein geflochtenes Körbchen, wie es so viele Frauen mit sich herumtrugen.
»Haben Sie hier irgend etwas verändert oder weggenommen?« fragte der Beamte.
Ulrich verneinte.
Auch Obermeister Dettel versuchte mit eher unbeholfenen Bewegungen die Gewißheit zu erlangen, ob es sich um eine Tote handelte oder ob noch geholfen werden konnte.
»Da ist wohl nichts mehr zu machen.«
Wieder die schrillen Töne von näherkommenden Martinshörnern. Ein zweiter Streifenwagen und der Notarzt sowie ein Rettungstransportwagen trafen gleichzeitig ein. Auf den letzten Metern trat ihnen Obermeister Dettel entgegen. »Bitte nicht weiterfahren; hier müssen erst die Spuren gesichert werden.«
»Und ich muß schnellstens feststellen, ob noch ärztliche Hilfe gebraucht wird – noch eine Lampe her!« rief der Notarzt seinem Gehilfen zu. »Mein Gott, was hat die sich denn für einen Platz ausgesucht?«
Die Untersuchung dauerte kaum fünf Minuten. Der Arzt bemühte sich dabei, die Lage der Frau nicht zu verändern. »Sie ist tot, aber noch nicht lange – ein oder zwei Stunden vielleicht. Der linke Arm weist Einstiche auf – sie könnte an Rauschgift gestorben sein. Wenn der Erkennungsdienst fertig ist, gleich ab mit der Leiche in die Rechtsmedizin. – Ich werde hier nicht mehr gebraucht. Tschüs denn!«
Obermeister Dettel grüßte kurz und sagte zu Ulrich: »Sie müssen noch bleiben, bis die Kripo kommt«, und fügte etwas spöttisch hinzu: »… auf die Sie ja so erpicht sind.« Dann wandte er sich an die Kollegen von der Verstärkung: »Seht euch mal ein bißchen um, ob sich hier jemand in der Nachbarschaft herumtreibt. – Aber unsere Einsatzhundertschaft muß wohl noch her. Na, die schlauen Kriminalen werden’s schon richten. – Herr Steiner, wir gehen zurück zum Streifenwagen und nehmen die Personalien auf.«
Ulrich verfluchte seinen Entschluß, gegen Verenas Rat an Ort und Stelle auf das Eintreffen der Polizei gewartet zu haben. Jetzt würde man sie ausquetschen wie Zitronen. Schließlich hatten sie die Leiche gefunden. – Diese Nacht war verloren und nichts mehr wert.
2
Dienstag war Dienst-Tag. An diesem ersten Wochentag des Monats rollte im Bonner »Kornschuppen« die Kugel. Das Poltern der Kegel und das Gebrüll der schwitzenden Männer am Vereinstisch war schon eine Weile verklungen. Heftig und laut wurde noch über den polizeilichen Alltag diskutiert. Ein paar brave Geschäftsund Bürgersleute, die immer dabei waren, wenn die Kugel geschoben wurde, hatten für ihren »Kriminalhauptkommissar« Freiberg und seinen engsten Mitarbeiter Wolfgang Müller – hier wie in Kollegen- und Ganovenkreisen nur »Lupus« gerufen – vorzügliche Ratschläge parat, wie man dem Wirken der vermummten Chaoten Einhalt gebieten könnte. Das Rezept war einfach: draufhaun und einsperren – und natürlich absolutes Demonstrationsverbot für die Bundeshauptstadt.
»Die tanzen dem Staat ja auf der Nase herum – und wir bezahlen die Steuern, damit unsere Kehrmännchen den Dreck wegräumen«, klagte ein wohlgenährter Mittvierziger und klopfte dabei mit einem schweren Siegelring auf die Tischplatte. »Da muß doch mal durchgegriffen werden.«
»Chaoten sind nicht das wirkliche Problem unserer Gesellschaft«, hielt ihnen Freiberg entgegen. »Mit denen werden wir schon fertig. Ich habe mehr Angst vor den machthungrigen Politikern, die ihren Gegnern alles mögliche anzuhängen versuchen, bis hin zu Aids und Homosexualität, um sie bei den Wählern schlechtzumachen. Damit geht der beste Staat kaputt.«
»Na, warum denn gleich so harsch? Wo gehobelt wird, da fallen Späne!« winkte der Siegelringträger ab. »In aller Freundschaft, Freiberg, – nur nicht zu weit nach links abdriften; das schadet der Karriere.«
»Leitender Hauptkommissar ist er ja«, stellte Lupus trocken fest, »und Studiendirektor wird er nicht mehr. – Dafür hat er zwei prima Staatsexamen in der Tasche, und wir bei der Polizei haben wenigstens einen, der richtig
Weitere Kostenlose Bücher