Schnee Im Regierungsviertel
wollen, was sie sich leisten können. Aber die Young Urban Professionals sind seit dem Aktien- und Dollarsturz doch abgemeldet.«
»Nun – abgemeldet oder nicht, hier heißen sie jedenfalls Schnuppies, weil denen alles schnurz- und piepegal ist, wenn nur der Rubel rollt. Zum Clan gehören so an die fünfzehn bis zwanzig – sagen wir mal – junge Damen und Herren, die sich hier gelegentlich treffen. Tolle Frauen und schicke Autos; damit geben sie an; aber sie tun keinem etwas Böses, sind eher weiche Schmusetypen – jedenfalls die Kätzchen.«
»Übernachten die auch hier?« fragte Lupus und dachte dabei an seine Tochter.
»Das eine oder andere Pärchen schon mal«, kam die Antwort. »Aber jetzt ist niemand im Haus. Ich war heute an der Rezeption und müßte es wissen, wenn jemand geblieben wäre.«
»Danke einstweilen«, sagte Kommissar Freiberg. »Vielleicht melden wir uns noch einmal.«
Der Mann hob kurz die Hand und ging ins Haus.
»Na, mein Freund und Kegelbruder«, stichelte Freiberg, »du bist so schweigsam. Man lernt doch nie aus. Schnuppies im Clan mit Schmusekätzchen – war das auch ein Gesprächsthema im Familienkreis?«
Lupus winkte ab. »Eltern hören ja doch nur das, was für ihre Ohren bestimmt ist. – Aber das liegt alles mehr als ein Jahr zurück.« Nachdenklich setzte er hinzu: »Hoffentlich!«
Die Fahrt zum Hofgarten führte kreuz und quer durch die Südstadt. Freiberg und Lupus ließen Golf und Ente im Halteverbot stehen. Hinter der Adresse von Irmela Ellers verbarg sich ein restaurierter Altbau mit hohen Gesimsen und ausgemalten Stuckornamenten. Wenn die Reihenfolge der Namensschildchen an der Klingelleiste stimmte, mußte sich die Wohnung im zweiten Obergeschoß rechts befinden. So war es auch; der eine BKS-Schlüssel paßte zur Haustür, der andere zur Wohnungstür mit den Initialen I.E.
»Hoffentlich scheuchen wir nicht gleich eine ganze Wohngemeinschaft auf«, sagte Lupus, obwohl er es nicht bedauert hätte, wenn es so wäre. Doch die Wohnung, ein gepflegtes Zwei-Zimmer-Appartement, war leer. Im Wohnzimmer: Sitzecke aus schwarzem Weichleder, Stereoanlage und Fernseher. Küche und Bad teuer ausgestattet. Das sehr viel kleinere Schlafzimmer wurde von einem französischen Bett beherrscht. Es war ordentlich gemacht.
»Hier soll sich mal unsere Spurensicherung umsehen«, sagte Freiberg. »Was wir jetzt brauchen, sind persönliche Unterlagen.«
»Wenig Bücher für eine Studentin«, stellte Lupus fest.
»Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Kaufmännisches Rechnen und ein paar Grundrisse. Wie kann sich eine Studentin überhaupt eine solche Wohnung leisten?«
»Frag mich was Leichteres«, antwortete Freiberg und schaute sich um. »Nimm dir mal den Schreibtisch vor.«
Lupus öffnete den rechten Unterschrank und zog einen Ordner mit der Aufschrift »Personalia« heraus. »Sieh an!«
Freiberg trat neben ihn und schob den ersten Schnellhefter mit dem Informationsmaterial für Erstsemester über die Haltebügel. Dann pfiff er durch die Zähne. Lupus stieß einen Seufzer aus:
»Ach du dickes Ei!«
Das oberste Blatt des zweiten Hefters trug den Briefkopf »Bundeskanzleramt«; über einem halbseitigen Text stand in Großbuchstaben das Wort »Dienstleistungszeugnis«. Es war vor zwei Monaten ausgestellt.
In wenigen Sätzen wurde gesagt, daß sich Irmela Ellers als sehr befähigte Referatsassistentin mit guten Stenografie- und Schreibmaschinenkenntnissen stets bemüht habe, ihre Aufgaben zur Zufriedenheit ihres Vorgesetzten zu erledigen. Sie verfüge über fundierte Sprachkenntnisse in Englisch und Italienisch und Grundkenntnisse in der spanischen Sprache. Weil sie ein Studium aufnehmen wolle, erfolge die Lösung des Arbeitsvertrages ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist im gegenseitigen Einvernehmen.
»Die ist gegangen worden! – ›hat sich bemüht‹ und ›im gegenseitigen Einvernehmen ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist‹ – damit ist alles gesagt«, stellte Freiberg fest. »So froh stimmt mich das nicht. Da dürfte einiges auf uns zukommen.«
»Das Gefühl habe ich allerdings auch«, ergänzte Lupus.
Freiberg hatte es jetzt eilig, die Wohnung zu verlassen.
»Gehen wir, für heute reicht’s. – Um neun Uhr Besprechung in meinem Dienstzimmer.«
Im Haus warmes still; niemand schien die nächtlichen Besucher bemerkt zu haben. Der Briefkasten »I. Ellers« im Flur des Erdgeschosses ließ sich mit dem kleinen Schlüssel Öffnen. Postsachen waren nicht darin
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