Schnee Im Regierungsviertel
Einige Streifenbeamte geisterten mit ihren Handlampen in den Büschen herum.
Kommissar Freiberg ließ sich kurz einweisen und betrachtete die Tote. Noch sagte ihm der Fall nichts. Lupus gönnte der jungen Frau nur einen flüchtigen Blick. In all den Dienstjahren hatte er die Scheu vor Leichen nicht überwinden können. Das war sein Trauma; es wurde im 1. K. zwar belächelt, aber auch stillschweigend respektiert. Diese Leiche lag jedenfalls nicht in ihrem Blut; so ließ sich der Anblick leichter ertragen.
Um seinen Augen einen Fixpunkt zu geben, las Lupus die in die Marmorplatte gravierte Inschrift vor: »Dem Gedächtnis Kaiser Wilhelm I weihte diesen Hain die Stadt Bonn.«
Mit einem Fettstift hatte jemand auf eine der Basaltsäulen geschrieben: »Heroin – Heldendroge«.
»Kaiserliche Hoheiten können alt werden, auch wenn sie Kriege führen«, sagte Lupus. »Helden sterben jung. Mein Gott, dieses tote Mädchen dürfte so alt sein wie meine Tochter.«
Freiberg gab ihm einen Rippenstoß. »Umschalten, altes Haus. Zur Sache, Kollegen! Frage eins: Ist die Tote identifiziert? Frage Nummer zwei: Ist die Todesursache bekannt?«
Der Leiter des Erkennungsdienstes konnte nicht viel zur Aufklärung beitragen. »Die Tote ist unbekannt. Wir haben keine Papiere bei ihr oder in der Nähe gefunden. Todesursache? Jedenfalls keine äußeren Verletzungen, die auf Gewaltanwendung schließen lassen. Der Notarzt will Einstiche an den Armvenen festgestellt haben. Dann hätten wir eine Fixerin vor uns. Aber ob das wirklich etwas mit dem Tod zu tun hat, müssen uns die Rechtsmediziner sagen.«
Kommissar Freiberg erinnerte sich an seine ersten Semester in Bonn, als er mit Sabine, seiner »studentischen Hilfskraft«, hier oben gewesen war. »Gehen die Studenten auf dem Venusberg immer noch so zur Sache wie zu meiner Zeit?«
Der Leiter des Erkennungsdienstes zuckte mit den Schultern; er verstand die Frage nicht. Lupus kannte sich da besser aus. Er hätte es nicht so gern gesehen, wenn seine Tochter ihr Biologiestudium mit dem Venusbergritual gekrönt hätte. Aber das war eine Sache, in der Väter nicht gefragt wurden. »Große Happenings gibt es kaum noch«, erklärte er seinem Kommissar, »aber hin und wieder ein kleines Besäufnis und Liebeszauber zur Geisterstunde.«
»Heroin – Heldendroge«, zitierte Freiberg. »Hat man hier ein neues Spiel mit Rauschgift aufgelegt?«
»Schwer zu sagen«, meinte der Kollege vom Erkennungsdienst. »Wenn die sich wirklich den Goldenen Schuß verpaßt hat, dann hätten wir zumindest die Injektionsspritze finden müssen.«
»Vielleicht hat sie alles in die Büsche oder dort über die Mauer geworfen«, mutmaßte Freiberg.
Der Chef des Erkennungsdienstes winkte energisch ab. »Bei der Lage der Toten – ausgeschlossen. Wenn Rauschgift intravenös gedrückt wird, ist sofort der Flash da, das euphorische Feeling. Die schweben dann wie die Engel im All, und kein Junkie denkt daran, die Spritze noch wegzuwerfen und sich in diese Position zu bringen. Ausgeschlossen! Eher möchte ich annehmen, daß jemand dabei war, als es passierte. Der hat dann alles abgeräumt. Dafür spricht auch das Fehlen aller persönlichen Dinge wie Handtasche etc. Das Gelände muß gründlich abgesucht werden; – ich habe die Einsatzhundertschaft angefordert.«
»Schöne Aussichten für die Ermittlungen«, bemerkte Lupus. »Mord durch vorgetäuschten Fixertod; das wäre mal etwas ganz anderes für uns Pastorenkinder.«
Freibergs Blick ruhte nachdenklich auf der Toten: jung, schön und ausgelöscht für immer. »In jedem Fall brauchen wir Verstärkung vom zweiten Kommissariat«, überlegte er laut. »In der Rauschgiftszene kennen wir uns zu wenig aus. Die sollen uns mal für eine Weile ihre Kommissarin Barbara Fendt überlassen.«
Lupus stimmte sofort zu. »Gute Idee, die Frau versteht was von Rausch und Sex.«
Der Leiter des Erkennungsdienstes winkte den Leichenwagen heran: »Die Tote kann abtransportiert werden – wir haben alles erfaßt.«
Lupus wandte sich ab, als die Frau in die »Zinkwanne« gelegt und in den Wagen geschoben wurde. Leicht schwankend rollte das Gefährt auf dem Waldweg davon.
Einige Minuten später ging der nächtliche Zauber erst richtig los. Mannschaftstransportwagen der Einsatzhundertschaft fuhren auf. Junge Kerle, schlank und sportlich trainiert, sprangen von den Fahrzeugen. Handlampen und Sprechfunkgeräte wurden überprüft und weitergereicht.
Der Hundertschaftsführer erläuterte die
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