Schneebraut
darauf den Theaterbesuchern Gefühle zu zeigen, die nicht ihre eigenen waren. Ihre Konzentration war dermaßen groß, dass sie sogar für eine Weile nicht an Ágúst dachte.
Der Applaus am Ende der Vorstellung erfüllte sie mit neuer Lebenskraft, und es war, als ob sie von der Bühne schwebe. Sie setzte sich nach der Aufführung für einen Augenblick hin, um wieder auf den Boden zurückzukehren. Und da erst überkam sie erneut die Trauer. Die Erinnerungen an Ágúst. Und doch wurde das alles mit jeder einzelnen Vorstellung irgendwie erträglicher. Es dauerte immer länger, bis die Schwere wieder Besitz von ihr ergriff.
Es war, als ob das Theater ihr einen Weg aus der Dunkelheit weisen würde.
Es freute sie sehr, dass sie den alten Herrn kennengelernt hatte. Sie hätte von sich aus niemals Kontakt mit dem Theaterverein aufgenommen.
Sie hatte es kaum übers Herz gebracht ihm zu sagen, dass sie ausziehen werde. Eine größere und angenehmere Wohnung in der Norðurgata war frei geworden; dass eine Wohnung möbliert vermietet wurde, mitsamt einem Klavier hatte ihr die Entscheidung abgenommen. Sie war fest entschlossen, dort einzuziehen – es war an der Zeit, sich im Dorf besser einzurichten. Die Souterrainwohnung, so gemütlich sie auch war, konnte niemals eine feste Bleibe für die Zukunft sein. Es war auch nicht gesagt, dass die Mietwohnung in der Norðurgata eine Wohnung für die längerfristige Zukunft sein würde, aber es war zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Größer und geräumiger – und mit einem kleinen Garten.
Sie war noch immer allein. Selbstverständlich gab es ein paar Männer im Dorf, die sie ganz in Ordnung fand. Und doch war es, als ob sie etwas zurückhalte. Vielleicht die Erinnerung an Ágúst – um anzufangen, zumindest –, aber vielleicht war sie sich auch einfach noch nicht sicher genug, ob sie Siglufjörður wirklich zu ihrem zukünftigen Zuhause machen wollte. Wollte dort keine Wurzeln schlagen, zumindest nicht sofort.
Ihren Kontakt mit Hrólfur hatte sie keineswegs aufgegeben, nachdem sie umgezogen war, sie schlenderte noch immer jeden Mittwochnachmittag zum Hólavegur und genehmigte sich einen Kaffee. Es war nach wie vor so, als ob sie im Souterrain wohnen würde, als ob sich nichts verändert hätte. Sie plauderten über dieses und jenes, seine Vergangenheit und seine Reisen und ihre Zukunft. Der gute Kerl. Hoffentlich verblieben ihm noch viele gute Jahre.
Sie hatte sich sehr gefreut, als Úlfur, der Regisseur des Theatervereins, sie im Herbst angerufen und ihr die Hauptrolle im neuen Stück angeboten hatte. Die Proben hatten bereits begonnen – das Theaterstück sollte nach Weihnachten, im Januar, Premiere feiern. Beim Gedanken daran verspürte sie Schmetterlinge im Bauch.
Die Hauptrolle – wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass sie eine Hauptrolle besetzen würde? Natürlich war es nur ein Laientheater, aber trotzdem … Eine Hauptrolle blieb immer eine Hauptrolle.
Zudem war es eine ziemlich gute Rolle, trotz allem. Das Theaterstück war von einem Einheimischen geschrieben worden, und man konnte nie wissen, ob es nicht noch weiter aufgeführt werden würde – in Akureyri vielleicht oder im Süden.
Sie schaute zum Fenster hinaus. Es hatte am Wochenende geschneit. Der Schnee war liegen geblieben, schön, schneeweiß. Es breitete sich eine Ruhe in ihr aus.
Sie öffnete die Hintertür in den Garten hinaus, um die kühle Winterluft einzuatmen, doch es schlug ihr ein klammer Nordwind entgegen, so dass sie die Tür schnell wieder schloss.
Und wieder musste sie an Ágúst denken.
Wie groß standen eigentlich die Chancen, dass so etwas jemals vorübergehen würde?
Ein ganz gewöhnlicher Abend in Patreksfjörður, übers Wochenende zu Hause.
Warum ausgerechnet er? Warum musste es ausgerechnet ihm geschehen, so jung?
Sie schloss die Augen und dachte an die Mansarde zu Hause in Patreksfjörður.
Ugla saß in der Mansarde.
Wie groß standen die Chancen …?
Eins, zwei, drei …
… und das warst du.
5. Kapitel
Angst war nicht das erste Gefühl, das sie verspürte, sondern die Wut darüber, nicht bemerkt zu haben, dass etwas Seltsames in der Luft lag, dass jemand hinter ihr in der Dunkelheit stand. Doch dann wurde sie vom Schrecken übermannt.
Sie fuhr zusammen, als er sie plötzlich an die Tür drückte und mit der rechten Hand von hinten ihren Mund umfasste. Die linke benutzte er, um den Schlüssel im Schloss umzudrehen.
Sie verlor beinahe das
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