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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sich
    aus.”
    “Und … ?”
    “Da ist ein Konstruktionsfehler in der Ventilationsanlage, die an der Hauswand entlangführt. Da drin hat Schimmel herrliche Lebensbedingungen. Darf ich mal einen Blick in Ihre Küche werfen?”
    Harry trat zur Seite. Der Mann steuerte auf die Küche zu, wo er ein fönartiges, oranges Gerät an die Wand presste. Es piepte zweimal.
    “Ein Feuchtigkeitsmesser”, erläuterte der Mann und blickte auf das Display. “Dachte ich’s mir doch. Und Sie haben wirklich nichts Verdächtiges gesehen oder gerochen?”
    Harry hatte keine klare Vorstellung, was der Mann meinte. “So ein Belag wie auf altem Brot”, präzisierte der Mann. “Schimmelgeruch ?”
    Harry schüttelte den Kopf.
    “Hatten Sie gerötete Augen?”, fragte der Mann. “Müdigkeit? Kopfschmerzen? “
    Harry zuckte mit den Schultern. “Klar, die hab ich, seit ich denkenkann.”
    “Meinen Sie, seit Sie hier wohnen?” “Möglich, aber … “
    Doch der Mann hörte ihn gar nicht. Er hatte ein Messer aus seinem Gürtel gezogen. Harry verstummte und starrte auf die Hand, die sich hob und mit voller Kraft zustieß. Es klang wie ein Stöhnen, als die Klinge durch die Gipsplatte hinter der Tapete drang. Der Mann zog das Messer heraus, stieß noch einmal zu und hebelte ein Stück beinahe pulverisierte Gipsplatte heraus. Dann holte er eine kleine Taschenlampe hervor und leuchtete in das entstandene schwarze Loch. Zwischen seinen überdimensionalen Brillengläsern bildete sich eine tiefe Falte. Dann steckte er seine Nase tief in das Loch und schnupperte.
    “Aha”, rief er. “Seid gegrüßt!”
    “Wie? Seid gegrüßt?”, fragte Harry und näherte sich. “Aspergillus”, verkündete der Mann. “Eine Schimmelart. Da
    gibt es an die drei-, vierhundert verschiedene Arten, aber die sind nicht so leicht zu unterscheiden. Außerdem wachsen die auf diesen harten Unterlagen so dünn, dass man sie gar nicht sieht. Aber dieser Geruch ist ganz eindeutig.”
    “Und das ist ein Problem?”, fragte Harry und versuchte sich zu erinnern, was er noch auf dem Konto hatte, nachdem er seine Schwester Sos, die, wie sie es ausdrückte, ein bisschen am DownSyndrom litt, mit seinem Vater auf eine Reise nach Spanien geschickt hatte.
    “Die sind nicht wie echte Hausschwämme, das Haus wird deswegen nicht zusammenbrechen”, erklärte der Mann. “Aber Sie vielleicht. “
    “Ich?”
    “Wenn Sie anfällig sind. Es gibt Leute, die krank werden, wenn sie die gleiche Luft wie Schimmel atmen. Die hängen dann jahrelang in den Seilen und werden häufig für Hypochonder gehalten, weil niemand etwas findet und die anderen im Haus gesund sind. Dabei fressen diese Untiere Tapeten und Gipsplatten auf.”
    “Hm, und was schlagen Sie vor?”
    “Na, dass ich diese Scheißviecher vernichte, natürlich.” “Und mein Konto gleich mit, ja?”
    “Das zahlt die Hausversicherung, Sie persönlich kostet das nichts. Ich brauche in den nächsten Tagen nur Zugang zu Ihrer Wohnung.”
    Harry holte die Ersatzschlüssel aus der Küchenschublade und reichte sie ihm.
    “Außer mir kommt sonst niemand”, erklärte der Mann. “Nur dass Sie Bescheid wissen. Es passiert heute ja so viel”
    “Ach wirklich?” Harry lächelte traurig und sah aus dem Fenster.
    “Häh?”
    “Nichts”, sagte Harry. “Bei mir gibt es ohnehin nichts zu klauen. Aber ich muss jetzt weg.”
    Die niedrig stehende Morgensonne glitzerte auf der gläsernen Front des Präsidiums, dem Hauptquartier des Polizei Distriktes Oslo, das seit dreißig Jahren unverändert auf einer Anhöhe am Gronlandsleiret im Osten des Zentrums lag. Die zentrale Schaltstelle der Polizei lag damit - wenn auch unbeabsichtigt - in unmittelbarer Nähe der kriminell aktivsten Stadtteile und zudem in unmittelbarer Nachbarschaft des “Bayern”, des Osloer Gefängnisses. Das Präsidium war umgeben von einem Park mit welkem Gras, trockenen Blättern und ein paar Linden, die im Laufe der Nacht von einer dünnen Schneeschicht überzogen worden waren und die kleine Grünfläche wie einen geschmückten Totentempel aussehen ließen.
    Harry ging über den schwarzen Asphaltstreifen zum Haupteingang und betrat die Eingangshalle, in der Kari Christensens Wanddekoration aus Porzellan und rieselndem Wasser ihre ewigen Geheimnisse flüsterte. Er nickte der Securitaswache an der Pforte zu und fuhr mit dem Aufzug in die sechste Etage, zum Dezernat für Gewaltverbrechen. Vor einem halben Jahr hatte er ein neues Büro in der roten Zone bezogen.

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