Schneesturm und Mandelduft
die Taschen seines schwarzen Mantels.
»Glaubst du, Harald wäre in der Lage …?« Bernard ließ die Frage in der Luft hängen.
Gustav sah aus, als wolle er protestieren, dann aber schien er ernsthaft über die Frage nachzudenken.
»Wäre da nur Ruben gewesen, dann … vielleicht. Aber Matte? Ich kann nur sehr schwer glauben, dass er seinen eigenen Sohn kaltblütig erschießen könnte.«
»Aber wir wissen ja nicht, wie es abgelaufen ist«, sagte Bernard. »Sie haben vielleicht gestritten, und dann hat sich der Schuss gelöst … Ja, was weiß ich. Aber für komplett unwahrscheinlich halte ich das nicht.«
»Nein, das stimmt schon«, sagte Gustav langsam. »Ganz unmöglich ist es nicht. Harald hat auch einen ordentlichen Teil von Papas … Zorn abbekommen, und er war ja schon immer sehr empfindlich …« Er sah nachdenklich aus.
»Wir können nur hoffen, dass die Polizei vom Land die Sache rasch übernimmt. Lisettes Kerl ist ja kaum trocken hinter den Ohren, ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er die Angelegenheit löst.« Bernard lachte.
»Nein, auf diesen Grünschnabel sollten wir nicht setzen«, sagte Gustav und lachte auch.
»Grünschnabel! Jetzt klingst du wie in einem alten Schwarzweißstreifen«, sagte Bernard und öffnete die Haustür.
»Mein Lieber, sei nicht so unverschämt zu deinem Vater!«
Gustav ging als Erster ins Haus, und sie setzten sogleich eine den Umständen angepasste, düstere Miene auf.
»Könnten wir uns kurz unterhalten? Geht das?« Martin, der verlegen den Kopf in die Bibliothek gesteckt hatte, wandte sich an Harald.
Harald sah Britten fragend an. Sie nickte. Er warf noch einmal einen Blick auf seine Frau und seine Tochter und folgte dann Martin.
»Wir könnten uns in den Speisesaal setzen, wenn Sie einverstanden sind«, sagte Martin. Harald sagte nichts, ging aber hinter ihm her. Sie ließen sich an einem Tisch ganz am Ende des Raumes nieder, und Kerstin brachte ihnen diskret Kaffee und Brote, bevor sie zu den anderen in die Bibliothek ging.
»Essen Sie doch etwas«, sagte Martin und schob Harald die Platte mit Broten hin. Doch der verzog nur das Gesicht und stieß die Schüssel weg.
»Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte Martin. Er schämte sich, so aufdringlich sein zu müssen, aber Harald schien es ihm nicht übelzunehmen.
»Fragen Sie nur«, antwortete er müde und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
»Es geht um die Pistole Ihres Vaters«, erklärte Martin und sah, wie Harald zusammenzuckte.
»Die Pistole meines Vaters? Was hat die mit …?« Und langsam schien ihm ein Licht aufzugehen. »Wurde Matte etwa damit …?« Er wurde aschfahl.
»Das weiß man nicht sicher, bevor die Techniker ihre Arbeit getan haben. Aber sie fehlt, es gibt also schon gute Gründe anzunehmen …« Er beendete den Satz nicht. »Wer wusste davon?«, fuhr er stattdessen fort, um bestätigt zu bekommen, was er bereits gehört hatte.
Haralds Hand zitterte, als er seine Kaffeetasse hob. »Alle in der Familie. Alle wussten davon. Vor fünfzehn Jahren wurde mein Vater Opfer eines Entführungsversuchs. Nur zwei Tage bevor die Täter ihren Plan in die Tat umsetzen wollten, betranken sie sich in einem Pub und erzählten der falschen Person zu viel. Aber ich weiß, dass mein Vater es richtig, richtig mit der Angst bekam. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Sie hatten eine Kiste gebaut, in die sie ihn stecken wollten. Vater sah ein Bild davon in einer Abendzeitung, und am Tag darauf besorgte er sich eine Pistole. Er hatte sie ständig dabei. Die ganze Familie wusste das.«
»Offenbar bewahrte er sie in der Aktentasche auf.«
»Ja.«
»Hat er diese Aktentasche sonst immer abgeschlossen?«
Martin streckte die Hand nach einem Brot aus.
»Das war ein oft diskutierter Punkt in der Familie. Er war damit sehr nachlässig. Die Aktentasche hat ja ein Kombinationsschloss, aber er war zu faul, es einzustellen. Wir haben ihn oft deshalb gescholten, einerseits wegen der Pistole, andererseits wegen all der geheimen Papiere und Ähnlichem, was sich manchmal in der Tasche befand. Es gibt Menschen, die alles in der Welt tun würden, um an solche Informationen zu gelangen. Aber damit war er merkwürdigerweise sehr sorglos.«
»Und das war auch allgemein bekannt in der Familie?«
»Ja.« Harald schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber ich kann nicht glauben … Ich meine, wer sollte …? Wer in der Familie sollte überhaupt auf den Gedanken kommen? Matte hat doch keiner Fliege etwas
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