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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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Urteile wurde unlängst in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences berichtet 9 . Die ahnungslosen Studienteilnehmer waren acht Bewährungsrichter in Israel. Sie verbrachten ganze Tage damit, Anträge auf bedingte Entlassung zu prüfen. Die Fälle wurden ihnen in zufälliger Reihenfolge vorgelegt, und die Richter verwendeten auf jeden einzelnen nur wenig Zeit, im Schnitt sechs Minuten. (Die Standardentscheidung ist die Ablehnung des Antrags auf bedingte Entlassung; nur 35 Prozent der Gesuche wurden positiv entschieden. Die genaue Zeit der Beschlussfassung wurde aufgezeichnet, und die Zeiten der drei Essenspausen der Richter – morgens, mittags und nachmittags – wurden ebenfalls
notiert.) Die Autoren der Studie trugen in einem Diagramm den Prozentsatz der bewilligten Anträge gegen die seit der letzten Essenspause vergangene Zeit auf. Der Prozentsatz gipfelte nach jedem Essen, wenn etwa 65 Prozent der Anträge bewilligt wurden. Im Verlauf der nächsten zwei Stunden, bis zur nächsten Speisung der Richter, sank die Bewilligungsquote stetig, auf etwa null unmittelbar vor dem nächsten Mahl. Sie ahnen vielleicht, dass dies ein unerwünschtes Ergebnis ist, und die Autoren überprüften sorgfältig viele alternative Erklärungen. Die bestmögliche Erklärung der Daten hält schlechte Neuigkeiten für uns bereit: Erschöpfte und hungrige Richter scheinen auf die leichtere Standardposition der Ablehnung von Bewährungsgesuchen zurückzufallen. Vermutlich spielen dabei sowohl Erschöpfung als auch Hunger eine Rolle.

Das faule System 2
    Eine der Hauptfunktionen von System 2 besteht darin, von System 1 »vorgeschlagene« Gedanken und Handlungen zu überwachen und zu kontrollieren; einigen davon erlaubt es, sich direkt im Verhalten auszudrücken, während es andere unterdrückt oder modifiziert.
    Nehmen wir folgende einfache Denkaufgabe. Versuchen Sie nicht, sie zu lösen, sondern vertrauen Sie Ihrer Intuition:
    Ein Schläger und ein Ball kosten 1,10 Dollar.
Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball.
Wie viel kostet der Ball?
    Ihnen fällt eine Zahl ein. Die Zahl ist selbstverständlich 10, nämlich 10 Cent. Die charakteristische Besonderheit dieser leichten Denkaufgabe besteht darin, dass sie eine Antwort nahelegt, die intuitiv verlockend und falsch ist. Berechnen Sie es, und Sie werden es sehen. Wenn der Ball 10 Cent kostet, dann betragen die Gesamtkosten 1,20 Dollar (10 Cent für den Ball und 1,10 Dollar für den Schläger), nicht 1,10 Dollar. Die richtige Antwort lautet 5 Cent. Mit Sicherheit fiel die intuitive Antwort auch denjenigen ein, die schließlich auf die richtige Zahl kamen – es gelang ihnen irgendwie, sich der Intuition zu widersetzen.
    Shane Frederick und ich arbeiteten gemeinsam an einer Urteilstheorie auf der Basis zweier Systeme, und er benutzte die Schläger-und-Ball-Aufgabe,
um eine zentrale Frage zu erkunden: Wie intensiv überwacht System 2 die Vorschläge von System 1? Dabei ging er davon aus, dass wir eine wichtige Tatsache über jeden wissen, der sagt, der Ball koste 10 Cent: Diese Person hat nicht aktiv die Richtigkeit der Antwort überprüft, und ihr System 2 unterstützte eine intuitive Lösung, die es mit einer geringfügigen Anstrengung hätte verwerfen können. Außerdem wissen wir, dass diejenigen, die die intuitive Antwort gegeben haben, einen offensichtlichen sozialen Hinweisreiz übersahen; sie hätten sich fragen müssen, wieso jemand eine Denkaufgabe mit einer so leichten Antwort in einen Fragebogen aufnehmen würde. Es ist bemerkenswert, wenn die intuitive Antwort nicht überprüft wird, weil die Kosten des Überprüfens so gering sind: Einige wenige Sekunden mentaler Arbeit (das Problem ist mittelschwer) mit leicht angespannten Muskeln und vergrößerten Pupillen könnten einen peinlichen Fehler vermeiden. Menschen, die 10 Cent sagen, scheinen glühende Anhänger des Gesetzes des geringsten Aufwands zu sein. Personen, die diese Antwort vermeiden, scheinen einen aktiveren Intellekt zu besitzen.
    Viele Tausend Studenten haben die Schläger-und-Ball-Denkaufgabe beantwortet, und die Ergebnisse sind erschreckend. Über 50 Prozent der Studenten an den Universitäten Harvard, MIT und Princeton gaben die intuitive – falsche – Antwort. 10 Bei Universitäten mit weniger strenger Auslese lag die Rate derjenigen, die nachweislich die intuitive Antwort nicht überprüften, bei über 80 Prozent. Das Schläger-Ball-Problem ist unsere

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