Schnitt: Psychothriller
hinunter. Dann wohl wie immer. Irgendwann heute Nacht würde er zu ihr ins Bett steigen, Liz würde sich ein- oder zweimal unruhig hin und her werfen, und es würde genau das passieren, was er immer noch nicht fassen konnte.
Er würde einschlafen.
Kein An-die-Decke-Starren, keine losen Erinnerungsfetzen, die ihn wie Blitzlichter wach hielten. Nur seine Träume waren nicht verschwunden, auch wenn sie öfter in ihrer dunklen Höhle blieben, wie in Lauerstellung, um ihn nur noch manchmal zu überfallen, mit toten Augen, mit Elektroschocks oder dem Gefühl, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Doch anders als früher gab es jetzt etwas, das ihn beruhigte, wenn er mit rasendem Herz hochschreckte, aus einem wirren Traum, der so real war, dass die Realität ihm dagegen vorkam wie eine Sinnestäuschung.
Kaum zwei Minuten später steuerte Gabriel den Golf über den Hof von Python, an seiner alten Wohnung und der Garage mit seinen zwei Motorrädern vorbei, durch das offene Gittertor hinaus auf die StraÃe, wo er nach links abbog und dem Navi in Richtung Kadettenweg folgte.
Er vermisst seine alte Wohnung nicht, im Gegenteil. Er hat das Gefühl, etwas Lästiges abgestreift zu haben, wie einen alten verkrusteten Teil seiner Seele. Als er damals, vor einem Jahr, zu Yuri ging, hatten ihn Schuldgefühle gedrückt. Yuri hatte ihm ein neues Leben verschafft. Aber dennoch wusste Gabriel, dass er nicht länger auf dem Gelände von Python leben konnte. Zwanzig Jahre lang hatte er das getan, und erst durch Liz war ihm bewusst geworden, dass er etwas ändern musste, wenn er nicht endgültig zu einem Pflasterstein auf dem Hof von Python Security werden wollte.
Yuri hatte die dünnen Brauen gehoben und ihn lange angesehen. Seine grauen Augen suchten nach dem wirklichen Grund. »Was ist los mit dir? Ist dir die Wohnung nicht mehr groà genug?«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Meine neue Wohnung ist auch nicht gröÃer. Das ist es nicht. Aber ⦠ich muss hier mal raus. Die andere Wohnung ist im Dachgeschoss und hat eine kleine Terrasse.«
»Terrasse«, schnaubte Yuri. »Der ganze Hof ist deine Terrasse. Und was machst du mit deiner Werkstatt?«
»Ich wäre froh, wenn ich die Garage erst mal weiter benutzen kann.«
Sarkov nickte bedächtig, aber ihm war anzusehen, dass es ihm nicht gefiel.
»Yuri«, sagte Gabriel. »Ich bin vierzig. Ich will auch mal vor die Tür gehen, in irgendeine Kneipe oder ein Café. Nichts Wildes, einfach nur einen kleinen Laden vor der Haustür, wo mich die Bedienung kennt und mir ânen vernünftigen Kaffee bringt, ohne dass ich groà was sagen muss, oder wo ich ein paar frische Brötchen beim Bäcker holen kann. Das hier«, sein Finger malte einen weiten Kreis in die Luft, »ist ein Industriegebiet.«
»Ein Industriegebiet mit einem hübschen Puff um die Ecke«, ergänzte Sarkov. »Oder hast du jemanden kennengelernt?«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Da, wo ich hinziehe, gibt es auch einen, und die Mädchen sind hübsch«, log Gabriel und sah Sarkov geradewegs in die Augen. Genau genommen lag Yuri richtig. Er hatte ja jemanden kennengelernt. Tatsächlich war Liz der wahre Grund für seinen Auszug, aber Yuri sollte unter keinen Umständen davon erfahren.
»Vögeln kann man, so oft man will. Nur nicht immer dieselbe«, hatte Yuri stets betont, »das macht dich schwach und abhängig.«
Gabriel hatte das umgesetzt, indem er so gut wie gar nicht vögelte, und wenn, dann in anderen Städten, wenn er dort mit einem Python-Team als Personenschutz gebucht war. Im Tross von Prominenten gab es immer Frauen, denen es ähnlich ging wie ihm. Sex ja. Nähe bloà nicht.
Bis der Anruf von Liz kam, etwa zwei Monate nach ihrem zufälligen Kennenlernen auf der Berlinale.
Seitdem ist alles anders.
Gabriels Blick wandert hinab auf das Navigationsgerät. Der kleine Pfeil zeigt nach rechts, in den Kadettenweg.
Gabriel schlägt das Lenkrad ein. Der Scheibenwischer schrammt stotternd über die Windschutzscheibe. Der Regen hat aufgehört, wie abgeschnitten. Er stellt den Scheibenwischer aus und beugt sich etwas nach vorne, um im Dunkeln die vorbeigleitenden Hausnummern besser zu erkennen. Links und rechts von der schmalen StraÃe stehen in unregelmäÃigen Abständen Bäume, viele davon sogar älter als die Villen dahinter. Lichterfelde ist
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