Schoene Bescherung
ein bitterer Zug. »Bis 1945 hatte Karlsbad sechshundert Jahre deutsche Geschichte hinter sich, es war eine kerndeutsche Stadt. Bis 1945 waren viele Karlsbader Deutsche«, sagte sie.
Jetzt verdrehte Skolny die Augen. Silke Klein zupfte Plotek am Ärmel, als ob der ihr schleunigst übersetzen sollte, was hier gerade für ein mysteriöses Spiel gespielt wurde. Aber auch Plotek schien den Disput der beiden nicht zu durchschauen. Er zuckte mit den Schultern.
»Mag sein, Frau Kubella«, fuhr Eduard von Alten fort, »und von denen waren damals fast alle Nazis.»
»Das stimmt nicht.«
Wieder verdrehte Skolny die Augen. Korbinian Stremmel stand auf. »I-i-ich m-m-muss m-m-mal.«
Kita Kubella strich sich durch die Haare und nestelte an ihrer Bluse herum. Von Alten fixierte sie.
»Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten wollen, dass Sie mit so einer albernen sudetendeutschen Tracht die Vergangenheit wiederbeleben wollen. Karlsbad gehört den Karlsbadern«, erklärte von Alten. »Und die Karlsbader sind Tschechen! Da können Sie noch so oft hierher fahren und mit diesem revisionistischen Mist daherkommen.«
Eduard von Alten hatte sich in Rage geredet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er wieder einen seiner cholerischen Anfälle bekam.
Kita Kubella schüttelte vehement den Kopf. Herwig Skolny hustete und Silke Klein zog Plotek am Ärmel, bis Plotek ihr leise ins Ohr flüsterte: »Ich weiß doch auch nicht.«
Irgendwie schien Eduard von Alten einen erheblichen Infor-mationsvorsprung zu haben. Offenbar wusste er über Kita Kubella besser Bescheid als alle anderen hier.
»Ich kann ja verstehen, dass Sie das nicht begreifen wollen, liebe Frau Kubella, aber das sind doch die Tatsachen, das ist die Realität, ob Sie das glauben oder nicht!«
Herr von Alten legte seine Hand auf die faltige von Kita Kubella.
»Hör mal zu, du Nervensäge«, zischte jetzt Skolny, nahm von Altens Hand und schleuderte sie ihm zurück. Dann sprach er so laut, dass auch die anderen Gäste in der Bar aufhorchten. Er rückte ganz nahe an Herrn von Alten heran. »Entweder du machst jetzt ’ne Fliege oder ich hole die Mückenpatsche!«
Plotek sah die beiden schon raufend ineinander verkeilt über den roten Teppich rollen.
»Kommen Sie, Frau Kubella, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer, es ist schon spät«, schaltete sich Silke Klein jetzt ein, um den Streitigkeiten den Grund zu nehmen.
»Darf ich Sie begleiten?«, fragte von Alten.
»NEIN!« Das reichte.
Von Alten gab sich geschlagen.
Nach zwei Tagen hatte die Gruppenbildung konkrete Züge angenommen. Auf der einen Seite waren Frau von Ribbenhold, Herr Wilhelm, die zwei Wellers, Helga und Heinz und Frau Klinkermann unter Leitung von Herrn von Alten gemeinsam aktiv. Sie machten Stadtführungen und besuchten Sehenswürdigkeiten. Das Becherovka-Museum, diverse Denkmäler, die Mineralquellen, die Magdalena-Kirche und nicht zuletzt die Kurbäder. Sie genossen Kurbehandlungen, Unterwassermassagen, Moorpackungen, Hydromassagen, Fußpflege und dergleichen. Auf der anderen Seite waren Korbinian Stremmel, Herwig E. Skolny und Kita Kubella. Sie saßen meistens gemeinsam im Hotel an der Bar oder im Cafe und unternahmen nichts. Silke Klein dagegen war den ganzen Tag über nicht zu sehen. Erst abends gesellte sie sich zu Stremmel, Skolny und Kubella. Plotek unternahm ebenfalls kaum etwas. Er ließ sich mal hier, mal da sehen und hielt sich die meiste Zeit über bedeckt. Einzelgänger waren Marie-Louise und Ferdinand Schnabel. Marie-Louise hing meistens im Hotel herum, saß in der Lounge oder in der Bar am Tresen, hinter dem der junge Mann, mit dem sie sich im Roten Berlin vergnügt hatte, Cocktails mixte und Bier zapfte. Frau von Ribbenhold bemerkte die Abwesenheit Marie-Louises meistens gar nicht. Kein Wunder, kreisten doch ihre Gedanken und Blicke ausschließlich um Herrn von Alten. Der drehte sich dabei wie ein eitler Affe im Kreis und ließ sich von allen Seiten betrachten, als ob da nur Gutes wäre. Mehr noch: Als ob er auch noch wunderheilende Kräfte besitzen würde, stand Frau von Ribbenhold ab und an aus ihrem Rollstuhl auf und ging ein paar Schritte. Mit zunehmendem Aufenthalt immer mehr.
Während Skolny und Stremmel Billard spielten, saßen Plotek und Silke Klein an der Bar und tranken zuerst Bier, dann Becherovka.
»Warum?«, fragte Plotek wie aus dem Nichts.
Als ob Silke Klein schon lange darauf gewartet hätte, antwortete sie, ebenfalls wie aus dem Nichts: »Ablatio.«
Zuerst keine
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