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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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so dick, von einer atemberaubenden Karriere als Schauspieler geträumt hatte, an den Provinzbühnen, wo er spielte, fernab der Theatermetropolen dieses Landes: Castrop-Rauxel, Memmingen, Pforzheim, Erlangen, Marburg. Was war geblieben, von damals? Nichts – höchstens Pulp Fiction, dachte Plotek. Und als ob sie gerade Ähnliches gedacht hätte, fing Silke aus dem Stand heraus an Uma Thurman beim Tanzwettbewerb zu imitieren. Wie eine Blinde so tanzen kann?, dachte Plotek und schaute fasziniert zu. Die anderen eher Gegenteil. Frau von Ribbenhold tippte sich an die Stirn. Die Hasenscharte von Herrn Wilhelm grinste hinterhältig. Eduard von Alten sah ärgerlich aus – offenbar verstimmt, dass ihm die blinde Nuss kurzzeitig die Show stahl.
    »Na, los machen Sie schon!«, rief Silke Klein Plotek zu.
    Plotek wurde es ganz heiß. Schweiß sammelte sich in den Achselhöhlen, rann sturzbachgleich die Seiten entlang und versickerte im Saum der Cordhose. Jetzt muss man wissen, dass Tanzen und Plotek so kompatibel sind wie die glotzende Kuh und der Elektrozaun, das Christkind und Ramadan, übermäßiger Zigarettenkonsum und das ewige Leben. Außerdem war es eine Ewigkeit her, dass Plotek getanzt hatte. Das letzte Mal war der dicke Kanzler noch gar nicht so dick gewesen. Plotek war in der neunten Klasse, hatte das Gesicht voller Pickel und einen dunkelblauen, verschlissenen Samtanzug an, der ihm an den Beinen und Armen viel zu kurz war. Es war ja auch der Samtanzug von seinem älteren Bruder, den er beim Tanzkränzchen in Lauterbach auftrug. Im Ostalbschwäbischen, im Festsaal vom Goldenen Hirschen, wo Hochzeiten, Beerdigungen, Tauffeiern abgehalten wurden. Jetzt auch Tanzkränzchen. Nicht nur, dass Plotek, trotz der Tanzstunden, hundsmiserabel tanzte. Er musste auch noch mit der Dicken tanzen, dem hässlichsten Mädchen im ganzen Tanzkurs. Warum? Weil niemand sonst mit Plotek tanzen wollte. Ob er jetzt auch der hässlichste . . .? Keine Ahnung. Auf jeden Fall blieb Plotek nur die Dicke mit der Brille übrig. Eine Brille mit Gläsern so stark, dass die Augen groß wie Hühnereier wurden. Plotek konnte sich überhaupt nicht mehr auf seine Beine konzentrieren – nichts mehr mit vor, seit, Wiegeschritt, sondern immer rauf auf die Zehen der Dicken. Die aber hat nur gelächelt – entweder merkte sie es gar nicht oder sie fand sogar Gefallen daran. Gibt’s. Schmerz und Lust gehören oft zusammen. Ob bei der Dicken jetzt auch – keine Ahnung. Auf jeden Fall war es Plotek unangenehm, nicht nur das ständige Auf-die-Füße-Steigen, auch die ganze Tanzerei. Er schämte sich, es war ihm peinlich, es kam ihm lächerlich vor – damals.
    Und jetzt? War John Travolta etwa auch lächerlich? In Pulp Fiction? Peinlich? Vergiss es! Mit so ernsthafter Miene wie John Travolta konnte man gar nicht lächerlich sein – auch wenn man noch so lächerlich war. Da sieht man mal wieder: Es ist alles eine Frage der Haltung. Und die war bei Plotek jetzt eins a, wippend, auf der Stelle lässig mit einem Bein.
    »Na los, kommen Sie schon, geben Sie sich ’nen Schubs!«
    Gab sich Plotek eben einen. Zuerst nur einen kleinen. Dann einen größeren und dann ging die Post ab. Das Orchester spielte und Plotek legte los. Er tanzte mit einer Miene, als ob die Welt vollkommen am Arsch und er kurz vor dem Untergang wären. Hätte anstelle der Hasenscharte der wahre John Travolta Plotek beim Tanzen zugeguckt, wäre er vor Neid dahingeschmolzen. Nicht nur Travolta – Thurman, Tarantino, ganz Hollywood. Plotek ließ die Schultern zucken, die Beine hüpfen, als wären sie aus Gummi, und malte mit den Händen und Armen Zeichen in die Luft, die nur Uma Thurman verstehen konnte – und jetzt Silke Klein.
    Herr Wilhelm, Frau von Ribbenhold und die anderen wurden ganz blass um die Nase. Aber nicht vor Neid, sondern vor Entsetzen. Kopfschüttelnd guckten sie zu und bimmelten in Gedanken schon die Polizei mitsamt Notarzt herbei.
    Herwig Skolny dagegen klatschte und Kita Kubella versuchte immer wieder, durch Zurufe die Haltung der beiden Tänzer zu korrigieren. Bis sie es nicht mehr aushielt und ebenfalls anfing zu tanzen.
    »Schluss jetzt«, beendete Ferdinand Schnabel den Spuk. »Gleich geht es los!« Und dann zu Plotek: »Kommst du mal?«
    Plotek dachte, was will der jetzt schon wieder?, und: Ist er der Einzige, der noch nicht gemerkt hat, dass es schon losgegangen ist?
    Doch Schnabel zerrte Plotek hinter eine der großen Säulen im Festsaal.
    »Ich hab hier ein Kostüm

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