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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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singen ›0 du fröhliches dann ›Ihr Kinderlein kommet‹, dann ›Es ist ein Ros entsprungen. Hört das denn nie auf, denkt Plotek als Kind, als es doch noch aufhört. Aber keineswegs besser wird. Jetzt sind die Gedichte dran. Dann erst Geschenke. Wie jedes Jahr Unterhosen und selbst gestrickte Socken. Die Enttäuschung bei den Kindern ist groß, der Ärger bei den Eltern über die Enttäuschung noch größer. »Undankbar!« und »Nächstes Jahr gibt’s gar nichts!«, schimpft der Vater. Die Mutter weint. Dann trinkt der Vater einen Zwetschgenschnaps nach dem anderen und die Mutter geht frühzeitig ins Bett. Dann die Kinder. Nur der Vater trinkt weiter, bis er in der Nacht über die Geschenke stolpert, fällt, im Wohnzimmer in Baumnähe liegen bleibt und einschläft. Und das jedes Jahr. Jedes Weihnachten, dachte Plotek und dann an Agnes. Sicher sitzt sie jetzt auch unterm Baum, packt Geschenke aus und verflucht mich. Das waren natürlich Momente zum Rührseligwerden. Aber vergiss es. Ganz anders Plotek. Plotek wurde selten rührselig. Ist er erneut aufs Klo gegangen, und als er dieses Mal zurückkam, wurde nicht mehr nur gestritten.

10
    Skolny erhob sich, langsam, schwerfällig. Auf dem Gesicht ein starres Grinsen. In Zeitlupe setzte er einen Schritt vor den anderen und ging zielstrebig auf die Bühne zu. Die Menschen, die ihm im Weg standen, traten zur Seite. Erst ärgerlich, dann amüsiert, am Ende erstaunt. Sie bildeten eine Gasse, unentschlossen, dann immer entschiedener. Zuletzt stoben sie auseinander, quasi biblisch, als wäre der Festsaal das Rote Meer, sie selbst die Wassermassen und Skolny ein ganzes auserwähltes Volk. Es sah tatsächlich so aus, als wandelte der dicke Pathologe Herwig E. Skolny mit dem kleinen Schwanz der Erlösung entgegen. Wohin will der denn?, fragte sich Plotek und mit ihm fragten sich das auch alle anderen im Festsaal. Sogar Silke Klein starrte Skolny hinterher, als ob es sich die rhegmatogene Netzhautablösung plötzlich anders überlegt hätte und ihre Sehkraft in Sekundenschnelle zurückgekehrt wäre, um kurzzeitig an diesem außergewöhnlichem Schauspiel teilzuhaben.
    Frau von Ribbenhold, Frau Klinkermann und Frau Weller legten, je näher Skolny der Bühne kam, nacheinander die Hand vor den Mund. Heinz und Helga hielten sich an den Händen. Herrn Wilhelms Hasenscharte zuckte nervös und Korbinian Stremmel biss sich auf die Unterlippe. Ferdinand Schnabel stand jetzt auf, als wollte er Skolny hinterher. Herr von Alten hielt ihn davon ab. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und flüsterte: »Lass mal.« Nur Kita Kubella starrte unbeeindruckt vor sich hin in die leere Schachtel ihres Geschenks.
    Ansonsten war inzwischen auch dem letzten Besucher im Festsaal klar geworden, dass den dicken, glatzköpfigen Mann etwas Schwerwiegendes antrieb, nach vorne zur Bühne zu kommen. Doch was?
    Die Musik verstummte. Mit den Armen um Gleichgewicht bemüht, erklomm Skolny traumwandlerisch die Stufen zur Bühne, schwankte, stieß einen Notenständer um, drehte sich zweimal im Kreis und blieb breitbeinig vor dem Mikrofon stehen. Er wankte, die eine Hand am Mikrofonständer, die andere weit von sich gestreckt, wie ein Pendel hin und her, das Gesicht noch immer zu einem Grinsen erstarrt. Besoffen, mussten die meisten der Anwesenden denken, der Dicke ist voll, will was sagen und bringt kein Wort heraus.
    »Hackevoll«, sagte Eduard von Alten leise, doch laut genug, dass es der ganze Tisch hören konnte.
    Die Damen nahmen die Hand vom Mund und schüttelten ungläubig den Kopf. Helga und Heinz flüsterten. Herr Wilhelm setzte zu einem seiner mittlerweile allseits bekannten Witze an, wurde aber von Korbinian Stremmel rüde unterbrochen. Marie-Louise, die plötzlich zurückgekehrt war, stand neben Schnabel und kaute auf ihrem Kaugummi herum, als wollte sie mit ihrem Unterkiefer eine neue olympische Disziplin erfinden. Auch Silke Klein guckte noch immer, als ob ihre Netzhautablösung Urlaub hätte. Nur Kita Kubella schwieg nach wie vor, den Blick starr in die Geschenkschachtel gerichtet.
    »Suffkopp«, zischte Schnabel zwischen Arger und Schadenfreude.
    Aber vergiss es. Plotek war vielleicht der Einzige, der genau wusste, dass Skolny nicht betrunken war. Er war vollkommen nüchtern. Das war ja das Verblüffende. Plotek hatte ihn den ganzen Abend beobachtet. Skolny hatte nach dem 5-cl-Becherovka-Fläschchen keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Das erste Mal in den Tagen in Karlsbad, dass Skolny

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