Schoene Bescherung
nicht hemmungslos trank – deshalb war es auch so auffällig. Plotek machte sich jetzt im Weihnachtsmannkostüm auf den Weg zur Bühne. Er musste Skolny helfen, da wieder sicher von der Bühne herunterzukommen. So wie es aussah, schaffte der das alleine nicht.
Skolny stand schwankend vor dem Mikrofon, als Plotek an die Bühnenrampe kam. Da blieb er dann, ebenfalls etwas schwankend wegen zu viel Alkohol, stehen.
»Scheiße!« Skolny rülpste das Wort ins Mikrofon. Es klang wie das letzte Wort, das sich jemand unter Schmerzen aus den Tiefen seines Ichs herauswringt. Dann hustete er. Nur ein einziges Mal. Dabei stürzte ein Schwall Blut aus seinem Mund und landete auf der weißen Tischdecke unterhalb der Bühne. Am Tisch kreischten Menschen auf. Dann noch ein Huster, noch ein Blutschwall. Der traf das blonde toupierte Haar einer vornehmen Dame. Jetzt hustete Skolny noch dreimal, ganz schnell hintereinander. Blut ergoss sich über den Hut des Professors, den Silikonbusen von Ploteks ehemaliger Kommilitonin und zuletzt über das weiße Jackett des Schlagersängers.
Treffer, dachte Plotek, als er die konsternierten Blicke der Getroffenen sah.
Dann war Schluss.
Skolny fiel wie in Zeitlupe vornüber, landete auf seinem dicken Bauch und rutschte die Rampe hinunter dem Abgrund entgegen. Dann kam er mit einem satten Aufprall inmitten von Kaffeetassen und Kuchentellern auf dem Tisch von Doktor Tod und der Schauspielerin zum Liegen. Tot. Aus seinem Mund sickerte Blut. Die Augen waren nach oben gerichtet und guckten Plotek an, als wollten sie ihm etwas sagen. Und obwohl Skolny nichts mehr von sich geben konnte, glaubte Plotek, ihn zu verstehen.
Wieder Kreischen und Aufregung. Die Schauspielerin wurde ohnmächtig, der Plastinator nahm das erste Mal den Hut vom Kopf. Plotek erkannte auf seinem kahlen Hinterkopf ein großes Muttermal, das die Form eines Totenkopfes hatte. Erschrocken zwinkerte Plotek mit den Augen. Vielleicht bildete er sich den Totenkopf auch nur ein. Panik machte sich breit, Aufregung, Entsetzen, Fassungslosigkeit. Minutenlang. Nur die Hotelcrew blieb cool. Aus allen Ecken kamen die Uniformierten nicht hektisch, sondern zügig angelaufen, packten den toten Skolny und schleppten ihn aus dem Festsaal.
Auch hier war das Grandhotel einmalig. In Krisensituationen unterschied sich die Spreu vom Weizen. Das war der fünfte von all den Sternen.
In kaum zehn Minuten war Skolny nicht nur vom Personal weggeschafft und alle Spuren des Zwischenfalls beseitigt, auch die Weihnachtsfeier war wieder voll im Gange, als ob es überhaupt keinen Zwischenfall gegeben hätte. Die Panik war dahin. Aufregung, Entsetzen, Fassungslosigkeit weggeblasen, wie nie gewesen. Der aufgeschwemmte Sänger stand mit frischem Jackett wieder auf der Bühne und sang Weihnachtliches. Auch die ohnmächtige Schauspielerin saß wieder am Tisch neben dem Plastinator, auf dessen Hut nichts mehr von Skolny zu sehen war. The show must go on. Quasi: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Soll heißen, biblisch: An Weihnachten wird geboren, nicht gestorben.
Die Menschen hörten dem Sänger strahlend zu und hatten Skolny und seinen inszenierten Tod schon wieder vergessen.
Plotek nicht.
Währenddessen schien Kita Kubella am Tisch eingeschlafen zu sein. Sie lag mit dem Kopf auf der Tischplatte, ohne dass sie jemand beachtete.
Und auch, als sich der Festsaal langsam leerte, der Sänger nicht mehr auf der Bühne sang, sondern völlig betrunken auf einem Stuhl hing, lag Kita Kubella noch so da. Plotek saß im Weihnachtsmannkostüm längst wieder an der Bar und betrank sich mit Silke Klein im Gedenken an Herwig E. Skolny. Während Silke Klein irgendetwas von Modenschauen, Miss-Wahlen, Schlagerwettbewerben und Rockkonzerten erzählte.
Plotek trank und sagte nichts.
Erst als Ferdinand Schnabel aufgeregt an die Bar kam, sich immer wieder an seinen Schnauzbart fasste – nicht liebevoll, sondern verzweifelt – , lallte Plotek: »Was ist?«
»Die Kubella ist tot!«
Kita Kubella war trotz Schütteln und gut Zureden nicht mehr
wachzukriegen.
Dass es da einen ursächlichen Zusammenhang mit Skolnys Ableben gab, lag auf der Hand – allerdings nur für Plotek. Für die anderen war der Vorfall seltsam, aber nicht sonderlich beunruhigend.
»Gehen wir?«, sagte Silke Klein.
Noch ehe Plotek etwas sagen konnte, hing er schon an ihrem Arm.
11
»Du spinnst doch.«
»Warum? Alles ist doch wie immer.«
»Dieses Mal übertreibst du, Gregor.«
Jetzt wachte Plotek
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