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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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Glück als das Höchste Gut und lehrten sie statt dessen den Glauben an ein Ziel, das irgendwo jenseits, irgendwo außerhalb des gegenwärtigen menschlichen Bereichs lag. Solche Irrlehren führten dahin, den Sinn des Daseins nicht in der Erhaltung des Wohlbefindens zusehen, sondern in der Vertiefung und
    Verfeinerung der Erkenntnis, der Vermehrung des Wissens.
    Vielleicht, überlegte der Aufsichtsrat, sogar ein wahrer Glaube.
    Aber unter den derzeitigen Verhältnissen unzulässig.
    Er nahm noch einmal den Stift und zog unter die Worte »Zur Veröffentlichung nicht freigegeben« einen zweiten Strich, dicker und schwärzer noch als der erste. Dann seufzte er. »Wie glücklich könnte man sein«, sann er, »wenn man nicht an das Glück denken müßte!«
    Mit geschlossenen Augen und vor Verzückung strahlendem
    Gesicht deklamierte Michel leise ins Leere: »Oh, sie nur lehrt den Kerzen, hell zu glühn!
    Wie in dem Ohr des Mohren ein Rubin, So hängt der Holden Schönheit an den Wangen Der Nacht; zu hoch, zu himmlisch dem Verlangen - «
    Das goldene T lag schimmernd auf Leninas Brust. Neckisch zog der Erzchormeister daran und spielte damit.
    »Ich glaube«, sagte Lenina nach einem langen Schweigen,
    »ich sollte lieber zwei Gramm Soma nehmen.«
    Unterdessen schlief Sigmund fest und lächelte aus dem nur ihm zugänglichen Paradies seiner Träume. Lächelte, lächelte.
    Aber unerbittlich rückte alle dreißig Sekunden der Zeiger der elektrischen Uhr über seinem Bett mit kaum merklichem
    Klicken vor. Klick, klick, klick, klick... Es war Morgen.
    Sigmund befand sich wieder im Jammer von Raum und Zeit.
    Gedrücktester Stimmung flog er im Lufttaxi zu seiner Arbeit in der Normzentrale. Der Erfolgsrausch hatte sich verflüchtigt, er
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    war ernüchtert, und sein früheres Ich hatte wieder Besitz von ihm ergriffen. Verglichen mit dem Ballon der vergangenen Wochen war das frühere Ich noch nie um so viel schwerer als die Umgebung gewesen.
    Unerwartet zeigte sich der Wilde dem geschrumpften
    Sigmund gegenüber sehr teilnahmsvoll.»Jetzt sind Sie wieder fast so, wie Sie in Malpais waren«, sagte er, als Sigmund ihm sein Leid klagte. »Erinnern Sie sich an unser erstes Gespräch?
    Vor der Hütte. Jetzt sind Sie wieder so wie damals.«
    »Weil ich wieder unglücklich bin, das ist der Grund.«
    »Nun, ich wäre lieber unglücklich, als dies unechte,
    gleisnerische Glück mein eigen zu nennen, dessen Sie sich hier erfreuen.«
    »Das ist ja reizend!« erwiderte Sigmund bitter. »Dabei sind doch Sie an allem schuld! Weigern sich, zu meiner Gesellschaft zu kommen, und bringen alle Welt gegen mich auf.« Er wußte, daß dies eine unsinnige Behauptung war, und er gestand erst innerlich, dann endlich laut ein, daß alles wahr sei, was der Wilde jetzt über die Nichtswürdigkeit von Freunden sagte, die sich wegen eines so geringfügigen Anlasses in Feinde und Verfolger verwandelten.
    Aber obwohl er das wußte und es zugab, obwohl der Beistand und die Zuneigung des Freundes sein einziger Trost waren, nährte Sigmund verstockt neben seinem aufrichtigen Kummer einen heimlichen Groll gegen den Wilden und erwog einen
    kleinen Rachefeldzug gegen ihn. Dem Erzchormeister zu
    grollen, hatte keinen Sinn; sich an dem Obereinfüller oder dem Prädestinationsassistenten rächen zu wollen, war aussichtslos.
    Als Opfer besaß der Wilde in Sigmunds Augen einen
    ungeheuren Vorteil vor den anderen: Er war zu packen. Zu den Hauptaufgaben eines Freundes ge hört es, in gemäßigter, symbolischer Form alles zu erdulden, was wir unseren Feinden antun möchten, aber nicht können.
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    Sigmunds zweiter Opferfreund war Helmholtz. Als er ihn
    nach seiner Niederlage um die frühere Freundschaft bat, die er in den Tagen des Ruhms nicht des Bewahrens wert gefunden hatte, war Helmholtz bereit, sie ihm wieder zu schenken, ohne Vorwurf, ohne Kommentar, als hätte er vergessen, daß sie je entzweit gewesen waren. Sigmund war gerührt, aber zugleich auch gedemütigt von dieser Seelengröße, die um so
    ungewöhnlicher und daher um so demütigender war, als sie nicht dem Soma,
    sondern Helmholtzens Charakter
    zuzuschreiben war. Es war ein Alltags-Helmholtz, der vergaß und vergab, nicht ein Somaferien-Helmholtz. Sigmund war entsprechend dankbar, denn es war ein großer Trost, den Freund wiederzuhaben, aber er war auch entsprechend verstimmt, und es wäre ihm eine Wonne gewesen, sich an Helmholtz für dessen Edelmut irgendwie zu rächen.
    Bei ihrem ersten

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