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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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angewiesen -, wie konnte es da Beständigkeit für sie geben?
    »Deshalb brauchst du ihn natürlich nicht gleich aufzugeben. Nimm von Zeit zu Zeit einen anderen, das genügt. Er hat doch auch andere, nicht?«
    Lenina gab es zu.
    »Ganz begreiflich! Henry Päppler ist ein tadelloser Kavalier, immer korrekt. Außerdem muß man an den BUND denken. Du weißt ja, was für ein Pedant er ist.«
    Lenina nickte. »Heute nachmittag hat er mir einen Klaps auf den Po gegeben.«
    »Na, da siehst du's!« triumphierte Stinni. »Das zeigt am besten, worauf er hält: strikteste Konvention!«
    »Beständigkeit«, sagte der Aufsichtsrat. »Beständigkeit!
    Keine Zivilisation ohne gesellschaftliche Beständigkeit.
    Keine gesellschaftliche Beständigkeit ohne Beständigkeit des einzelnen.« Seine Stimme war eine Posaune. Die Hörer fühlten sich erwärmt, wuchsen über sich hinaus.
    Die große Maschine läuft, läuft, muß ewig laufen. Stillstand bedeutet Tod. Eine Milliarde krabbelt auf der Erdrinde. Die Räder haben sich zu drehen begonnen. Hundertfünfzig Jahre später sind es schon zwei Milliarden.
    Alle Räder halt! Hundertfünfzig Wochen danach gibt es nur noch eine Milliarde, die anderen tausendmal tausendmal tausend Männer und Frauen sind verhungert.
    Die Räder müssen stetig laufen, aber ohne eine treibende Kraft können sie das nicht. Menschen müssen sie antreiben, Menschen, die so fest und sicher im Leben stehen, wie die Räder auf ihren Achsen sitzen; vernünftige, gehorsame, zufriedene Menschen.
    Solange sie wimmern: »Mein Baby, meine Mutter, mein einzig angebetetes Alles«, solange sie stöhnen: »O ich Sünder, o göttliches Strafgericht«, solange sie vor Schmerz aufheulen, im Fieber lallen, Alter und Armut beweinen - wie können sie da die Räder antreiben? Und wenn sie die Räder nicht antreiben können... Tausendmal tausendmal tausend Leichen sind schwer zu beerdigen oder zu verbrennen.
    »Und überdies«, schmeichelte Stinni, »ist doch nichts Unangenehmes oder Peinliches dabei, außer Henry noch einen oder zwei andere zu haben. Du solltest wirklich weniger wählerisch -«
    »Beständigkeit«, darauf beharrte der Aufsichtsrat, »Beständigkeit, die erste und letzte Notwendigkeit!«
    Mit einer großen Geste umschrieb er die Gartenanlagen, den gewaltigen Bau der Brut- und Normzentrale, die nackten Kinder, die sich im Gebüsch vergnügten und auf den Wiesen tummelten.
    Lenina schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich bin seit kurzem, ich möchte sagen, nicht besonders erpicht auf größere Auswahl. Man hat manchmal solche Anwandlungen. Geht es dir nicht auch so, Stinni?«
    Stinni nickte mitleidig und verständnisvoll. »Da muß man sich eben ermannen«, sagte sie jedoch salbungsvoll.
    »Man darf keine Spielverderberin sein. Jeder ist seines Nächsten Eigentum.«
    »Ja, seines Nächsten Eigentum«, wiederholte Lenina gedehnt, seufzte und schwieg einen Augenblick. Dann drückte sie Stinni die Hand. »Du hast recht, wie immer.
    Ich werde mich ermannen.«
    Unterdrückte Triebe fließen über, werden zu Gefühlen, zu Leidenschaften, sogar zu Wahnsinn, je nach der Gewalt des Stroms, der Höhe und Stärke der Dämme. Der ungehemmte Strom ergießt sich sanft in sein vorgezeichnetes Bett, mündet in stilles Behagen. (Der Embryo hat Hunger; tagaus, tagein, ohne Unterlaß, macht die Blutsurrogatpumpe ihre achthundert Umdrehungen in der Minute. Das entkorkte Kind schreit; sogleich erscheint die Pflegerin mit einem Fläschchen Außensekret.) Gefühl lauert in der winzigen Zeitspanne zwischen Begehr und Gewähr. Kürzt diese Spanne, und ihr reißt alle jene unnötigen Schranken von einst nieder!
    »Glückliche Jugend!« sagte der WAR. »Keine Mühe wurde gescheut, um euch euer Gefühlsleben leichtzumachen, euch, soweit es geht, vor Gefühlen überhaupt zu bewahren.«
    »Gelobt sei Ford am Lenkrad«, murmelte der BUND. »Er hat die Welt so wohl bestellt.«
    »Lenina Braun?« wiederholte Henry Päppler auf die Frage des Ersten Prädestinationsassistenten, während er seine Hose hochzippte. »Ah, ein Prachtmädchen. Fabelhaft pneumatisch. Wundert mich, daß Sie sie noch nicht gehabt haben.«
    »Mir selbst unverständlich«, sagte der Prädestinator.
    »Aber bei der nächsten Gelegenheit bestimmt.«
    Am anderen Ende des Umkleideraums hörte Sigmund Marx ihr Gespräch mit und wurde blaß vor Wut.
    »Die Wahrheit zu sagen«, bemerkte Lenina, »langweilt es mich schon ein ganz klein wenig, jeden Tag nur Henry zu haben.« Sie zog ihren

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