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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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BUND hatte sich auf eine der bequemen Bänke aus Stahl und Gummi, die im Garten aufgestellt waren, niedergelassen. Beim Anblick des Fremden sprang er auf, stürzte ihm mit ausgestreckter Hand entgegen und lächelte mit allen zweiunddreißig Zähnen.
    »Welch unverhofftes Vergnügen! Jungen, seht ihr denn nicht, wer da ist? Der Herr Weltaufsichtsrat. Seine Fordschaft Mustafa Mannesmann.«
    In den viertausend Sälen der Zentrale schlugen viertausend elektrische Uhren gleichzeitig vier. Körperlose Stimmen schallten aus den Lautsprechern: »Erste Tagschicht Ende. Zweite Tagschicht Anfang.
    Erste Tagschicht Ende.«
    Im Aufzug, während der Fahrt hinauf in die Umkleideräume, kehrten Henry Päppler und der Erste Prädestinationsassistent ihrem Kollegen Sigmund Marx aus dem Psychologiebüro ziemlich auffällig den Rücken; sie hielten sich von dieser anrüchigen Erscheinung fern.
    Das gedämpfte Summen und Rattern der Maschinen in der Purpurschwüle des Embryonendepots dauerte fort.
    Schichten kamen und gingen, ein lupusfarbenes Gesicht machte dem anderen Platz, aber unablässig zogen die Förderbänder majestätisch weiter, beladen mit den Männern und Frauen der Zukunft.
    Lenina Braun eilte munter zum Ausgang.
    Seine Fordschaft Mustafa Mannesmann! Den grüßenden Studenten traten die Augen fast aus dem Kopf. Der Aufsichtsrat für Westeuropa! Einer der zehn Weltaufsichtsräte. Einer der Zehn - und jetzt setzte er sich mit dem BUND auf die Bank, er verweilte, wahrhaftig, er weilte unter ihnen, richtete leibhaftig das Wort an sie - aus erster Quelle.
    Direkt aus dem Munde Fords des Herrn.
    Zwei krebsrote Kinder tauchten aus dem nahen Gebüsch auf, starrten einen Augenblick groß und staunend und verschwanden dann wieder zu ihren Spielen zwischen den Blättern.»Sie alle kennen«, begann der WAR mit seiner tiefen, markigen Stimme, »Sie alle kennen wohl den schönen und wahren Ausspruch Fords des Herrn: Geschichte ist Mumpitz. Geschichte«, wiederholte er langsam, »ist Mumpitz.«
    Er unterstrich seine Worte mit einer schwungvollen Handbewegung, und es war, als hätte er mit einem unsichtbaren Federwisch etwas Staub hinweggefegt. Der Staub war Harappa, war das chaldäische Weltreich; ein paar Spinnweben, die waren Theben und Babylon und Knossos und Mykenae. Wisch, wisch, wisch - weg waren Odysseus und Hiob, weg waren Jupiter und Buddha und Jesus. Wisch, wisch - und die kleinen alten Dreckhäufchen, genannt Athen und Rom, Jerusalem und das Reich der Mitte, weg waren sie. Wisch - leer war die Stelle, wo einst Italien blühte. Wisch - die Kathedralen; wisch König Lear und die Philosophie Pascals. Wisch - die Matthäuspassion; wisch - Mozarts Requiem; wisch die Neunte; wisch, wisch, wisch...
    »Gehst du heute abend ins Fühlkino, Henry?« fragte der Prädestinationsassistent. »Der neue Film im Glo ria-Palast soll prima sein. Es kommt eine Liebesszene auf einem Bärenfell darin vor. Einfach wundervoll, sagen die Leute. Man spürt jedes einzelne Bärenhaar. Unglaubliche Fühleffekte.«
    »Und darum lernen Sie nicht länger Geschichte«, sagte der Aufsichtsrat. »Aber jetzt ist der Augenblick da -«
    Der BUND warf einen beunruhigten Blick auf ihn. Man munkelte merkwürdige Dinge von verbotenen alten Büchern, versteckt in einem Geheimtresor im Arbeitszimmer des WAR: Bibeln, Gedichtbände - weiß Ford, was noch alles. Mustafa Mannesmann fing seinen besorgten Blick auf; seine Mundwinkel zuckten spöttisch. »Keine Angst, Direktor«, sagte er. »Ich bin kein Kinderverderber.«
    Der BUND war über alle Maßen verwirrt. Wenn man sich verachtet glaubt, ist es am besten, verachtungsvo ll dreinzusehen. Das Lächeln auf Sigmunds Gesicht war geringschätzig. Jedes einzelne Bärenhaar - und wenn schon!
    »Ich werde bestimmt hingehen«, meinte Henry Päppler.
    Der WAR neigte sich mit erhobenem Zeigefinger zu ihnen.
    »Versuchen Sie, sich das einmal vo rzustellen!« sagte er, und seine Stimme fuhr seltsam aufwühlend in ihr Zwerchfell. »Vorzustellen, was es heißt, eine leibhaftige Mutter zu haben!«
    Wieder das unflätige Wort. Aber diesmal ließ sich keiner einfallen, zu grinsen.
    »Versuchen Sie, sich vorzustellen, was ›Familienleben‹ bedeutete!«
    Sie versuchten es, aber offenbar ohne jeden Erfolg.
    »Und haben Sie eine Ahnung, was ein ›trautes Heim‹ war?«
    Sie schüttelten die Köpfe.
    Aus dem mattroten Licht ihres Kellers fuhr Lenina Braun im Aufzug siebzehn Stockwerke hinauf. Als sie aus dem Lift trat, wandte sie sich nach

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