Schöne neue Welt
weinte. Sie ging zur Tür, er lief ihr nach und fragte, warum die Frauen so zornig seien. »Ich habe etwas zerbrochen«, sagte sie. Dann wurde auch sie zornig.
»Woher soll ich denn ihre dumme Webarbeit verstehen? Eklige Wilde.« Er fragte, was Wilde seien. Zu Hause erwartete sie Pope an der Tür und ging mit ihnen hinein. Er hatte eine große Kürbisflasche, gefüllt mit etwas, das wie Wasser aussah, aber es war kein Wasser, sondern etwas Übelriechendes, das im Mund brannte und zum Husten reizte. Filine trank davon, dann Pope, und Filine lachte unmäßig und sprach sehr laut; und dann ging sie mit Pope in die andere Kammer. Als Pope gegangen war, schlich er sich hinein. Filine lag im Bett und schlief so fest, daß er sie nicht wecken konnte.
Pope kam oft. Das Zeug in dem Kürbis nannte er Mescal, aber Filine sagte, es sollte Soma heißen, nur daß einem nachher übel davon werde. Er haßte Pope. Er haßte alle, alle Männer, die zu Filine kamen. Eines Nachmittags - es war sehr kalt, erinnerte er sich, und Schnee lag auf den Bergen ringsum - kam er vom Spielen mit den anderen Kindern heim und hörte zornige Stimmen aus dem Schlafraum. Es waren Frauenstimmen, und sie sagten Worte, die er nicht verstand, aber er erkannte, daß es furchtbare Worte waren. Und plötzlich ein Plumps! Etwas war zu Boden gefallen; er hörte hastige Bewegungen, noch einen Plumps und dann ein Geräusch, als würde ein Maultier geschlagen, eines, das nicht dünn war. Und dann schrie Filine: »Aufhören! Nicht, nicht!« Er stürzte hinein. Drei Frauen in dunklen Decken waren im Zimmer. Filine lag auf dem Bett. Die eine hielt sie an den Handgelenken, die zweite lag quer über ihren Beinen, damit sie nicht treten konnte, die dritte schlug sie mit einer Peitsche. Einmal, zweimal, dreimal; und bei jedem Schlag schrie Filine auf.
Weinend zog er die Frau mit der Peitsche an den Fransen ihres Umhangs. »Bitte nicht, bitte!« Mit der freien Hand hielt sie ihn sich vom Leib. Wieder sauste die Peitsche nieder, und wieder schrie Filine auf. Er erwischte die riesige braune Tatze der Frau und biß aus Leibeskräften hinein.
Sie kreischte, riß die Hand los und gab ihm einen Stoß, daß er hinfiel. Während er auf der Erde lag, schlug sie ihn dreimal mit der Peitsche. Es schmerzte mehr als alles, was er in seinem Leben je gespürt hatte - schmerzte wie Feuer. Die Peitsche pfiff noch mal, sauste nieder. Aber diesmal schrie Filine.
»Warum wollten sie dir weh tun, Filine?« fragte er abends. Er weinte, weil die roten Striemen auf seinem Rücken noch immer so schrecklich brannten, aber auch, weil die Menschen so roh und gemein waren und er so klein, daß er nichts gegen sie zu tun vermochte. Auch Filine weinte, obgleich sie erwachsen war, aber sie war doch nicht stark genug, gegen drei aufzukommen. Es war auch für sie schlimm. »Warum wollten sie dir weh tun, Filine?«
»Ich weiß nicht. Wie soll ich das wissen?« Ihre Worte waren schwer verständlich, weil sie auf dem Bauch lag, das Gesicht in die Kissen vergraben. »Die Weiber sagen, diese Männer gehören ihnen«, fuhr sie fort, als spräche sie nicht mit ihm, sondern mit jemandem in ihrem Innern. Es war ein langes Gespräch, und er verstand es nicht; zuletzt weinte sie noch lauter.
»O wein doch nicht, Filine! Nicht weinen!«
Er schmiegte sich an sie, legte die Arme um ihren Hals.
»Au!« schrie Filine. »Gib doch acht! Meine Schulter! Au!«
Sie stieß ihn so heftig von sich, daß er mit dem Kopf gegen die Mauer schlug. »Du kleiner Tölpel!« rief sie, und plötzlich begann sie, ihn zu schlagen. Klatsch, klatsch...
»Filine!« schrie er auf. »Nicht, Mutter!«
»Ich bin nicht deine Mutter. Ich will nicht deine Mutter sein.«
»Aber Filine - au!« Sie schlug ihn ins Gesicht.
»Eine Wilde geworden!« brüllte sie. »Junge kriegen wie ein Tier... Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich zum Aufseher gehen und vielleicht heimkehren können. Aber nicht mit einem Kind. Die Schande wäre zu groß gewesen.«
Er sah, daß sie ihn wieder schlagen wollte, und hob den Arm schützend vors Gesicht. »Nicht schlagen, Filine, bitte nicht!«
»Kleines Biest!« Sie riß ihm den Arm weg, so daß sein Gesicht ungeschützt war.
»Nicht, Filine!« Er schloß die Augen in Erwartung des Schlags. Aber sie tat ihm nichts. Nach einer Weile öffnete er die Augen und gewahrte, daß sie ihn ansah. Er versuchte, sie anzulächeln. Und auf einmal schlang sie die Arme um ihn und küßte ihn wieder und wieder.
Mitunter
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