Schöne neue Welt
verließ den Pueblo und schritt über die Mesa.
Am Steilhang blieben sie alle stehen, die Gesichter der frühen Morgensonne zugewandt. Kothlu öffnete die Hand.
Eine Prise Maismehl lag auf seiner Handfläche; er hauchte darauf, murmelte ein paar Worte und warf dann den gelblichen Staub gegen die Sonne. Kiakime tat desgleichen.
Dann trat Kiakimes Vater vor, hielt einen mit Federn geschmückten Gebetstock in die Höhe, betete lange und warf dann den Stock dem Maismehl nach.
»Das ist das Ende und der Anfang«, sagte laut der alte Mitsima. »Jetzt sind sie Mann und Frau.«
»Na«, bemerkte Filine, als sie heimkehrten, »ich kann nur sagen, die machen aber ein großes Aufsehen wegen solcher Kleinigkeiten. Wenn in zivilisierten Ländern ein Junge ein Mädchen haben will, braucht er nur - Ja, wohin läufst du denn, Michel?«
Er achtete nicht auf ihre Rufe und stürmte weg - nur weg, irgendwohin, um allein zu sein.
Das Ende und der Anfang. Die Worte des alten Mitsima gingen ihm immer wieder durch den Sinn. Aber für ihn war es nur das Ende... Stumm und aus der Ferne , aber leidenschaftlich, hoffnungslos, verzweifelt, hatte er Kiakime geliebt. Und nun war alles zu Ende! Er war damals sechzehn gewesen.
Zur Vollmondzeit wurden im Antilopenkiwa Geheimnisse erzählt, Geheimes wurde getan, neue Gehe imnisse entstanden. Als Knaben stiegen sie hinunter, und als Männer kamen sie zurück. Alle Jungen hatten Angst davor und sehnten sich doch ungeduldig danach. Endlich nahte der Tag. Die Sonne sank, der Mond stieg auf. Er ging mit den anderen. Männer standen am Eingang, dunkle Gestalten.
Eine Leiter führte in die rotbeleuchtete Tiefe hinab. Die Anführer der Knabenschar begannen schon hinunterzuklettern. Plötzlich trat einer der Männer vor, packte ihn am Arm und zerrte ihn aus der Reihe. Er wand sich los und eilte auf seinen Platz zwischen den anderen zurück. Da schlug ihn der Mann und riß ihn an den Haaren. »Du gehörst nicht dazu, Weißhaar!« Und ein anderer sagte: »Der Sohn der Hündin gehört nicht dazu!« Die Jungen lachten.
»Fort mit dir!« Und als er sich noch am Rande der Gruppe herumdrückte, schrien die Männer abermals: »Fort mit dir!« Einer bückte sich, hob einen Stein auf und warf ihn nach ihm. »Fort mit dir, fort!« Steine hagelten. Blutend stürzte er davon in die Dunkelheit. Aus dem rotbeleuchteten Kiwa erschallte Gesang. Nun war auch der letzte der Knaben die Leiter hinabgeklettert. Er war allein.
Ganz allein, außerhalb des Pueblos, auf der kahlen Fläche der Mesa. Im Mondlicht glichen die Felsen gebleichten Knochen. Unten im Tal heulten die Präriewölfe den Mond an. Die Beulen schmerzten, die offenen Wunden bluteten noch, aber er schluchzte nicht mehr vor Schmerz, sondern weil er einsam war, hinausgestoßen in die Einsamkeit dieser Skelettwelt aus Felsen und Mondlicht. Am Rande des Abgrunds ließ er sich nieder, den Mond im Rücken, und blickte in den schwarzen Schatten der Mesa hinab, hinab in den düsteren Schatten des Todes. Nur ein Schritt, ein einziger kleiner Sprung... Er hielt die Rechte ins Mondlicht. Aus der Wunde am Gelenk sickerte noch immer Blut. Alle paar Sekunden fiel ein dunkler Tropfen, fast farblos im totenfahlen Licht. Tropf, tropf, tropf... Morgen und morgen und dann wieder morgen...
In diesem Augenblick hatte er Zeit und Tod und Gott entdeckt.»Allein, ewig allein!« rief der junge Wilde.
Die Worte weckten ein klagendes Echo in Sigmunds Brust. Allein, allein... »Ich auch«, sagte er in plötzlich aufkommender Vertraulichkeit. »Grauenhaft allein.«
»Wirklich?« Michel machte ein überraschtes Gesicht.
»Ich dachte, in der Anderen Welt - Filine hat mir nä mlich immer erzählt, daß niemand dort je allein ist.«
Sigmund errötete verlegen. »Ja, sehen Sie«, murmelte er abgewandten Blicks, »ich bin wohl ganz anders als die meisten Menschen. Wenn man unter anderen Umständen entkorkt ist...«
»Daran liegt es«, nickte der junge Mann. »Wenn man anders ist als die übrigen Menschen, muß man einsam bleiben. Die Menschen sind so gemein zu einem. Wissen Sie, daß sie mich buchstäblich von allem ausgeschlossen haben? Als die anderen Jungen für eine Nacht in die Berge hinausgeschickt wurden - um zu träumen, welches ihr heiliges Schutztier sei, verstehen Sie? -, durfte ich nicht mit.
Sie wollten mir nichts von den Geheimnissen verraten.
Aber ich bin ganz allein drauf gekommen«, fügte er hinzu.
»Fünf Tage habe ich nichts gegessen, und dann blieb ich eine Nacht
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