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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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zurück sein. Wir haben also sieben Stunden Zeit.«
    Zeit genug, nach Santa Fe zu fliegen, um alle nötigen Schritte zu unternehmen und, lange bevor sie aufwachte, wieder in Malpais einzutreffen.
    »Sie ist doch hier in Sicherheit?«
    »Wie in einem Hubschrauber«, beteuerte der Mischling.
    Sie bestiegen die Maschine und flogen sofort ab. Um zehn Uhr vierunddreißig landeten sie auf dem Dach des Postamts von Santa Fe, um zehn Uhr siebenunddreißig war Sigmund mit dem Weltaufsichtsamt in der Wilhelmstraße verbunden, um zehn Uhr neununddreißig sprach er mit dem Vierten Sekretär Seiner Fordschaft; um zehn Uhr fünfundvierzig wiederholte er die Geschichte dem Generalsekretär, und um zehn Uhr siebenundvierzigeinhalb tönte ihm die tiefe, dröhnende Stimme von Mustafa Mannesmann persönlich ins Ohr.
    »Ich habe mir gestattet, anzunehmen«, stammelte Sigmund, »daß Eure Fordschaft die Sache von hinreichendem wissenschaftlichen Interesse finden wird -«
    »Ich finde sie von hinreichendem wissenschaftlichen Interesse«, sagte die tiefe Stimme. »Bringen Sie die beiden mit, wenn Sie nach Berlin zurückkommen.«
    »Es ist Eurer Fordschaft bekannt, daß ich dazu einer besonderen Erlaubnis -«
    »Die nötigen Weisungen gehen gleich an den Kustos der Reservation«, antwortete der Aufsichtsrat. »Begeben Sie sich unverzüglich in sein Amt. Guten Morgen, Herr Marx.«
    Stille. Sigmund hängte den Hörer ein und eilte auf das Dach.
    »Zum Kustos!« befahl er dem Gammagrünen.
    Um zehn Uhr vierundfünfzig schüttelte er dem Beamten die Hand.
    »Sehr erfreut, Herr Marx, sehr erfreut«, schmetterte der ehrerbietig. »Wir erhielten soeben besonderen Auftrag -«
    »Weiß schon«, unterbrach ihn Sigmund. »Habe gerade mit Seiner Fordschaft telefoniert.« Sein blasierter Ton deutete an, daß er tagtäglich mit Seiner Fordschaft zu telefonieren pflegte. Er warf sich auf einen Stuhl. »Veranlassen Sie bitte so schnell wie möglich alles Nötige! So schnell wie möglich!« wiederholte er mit Nachdruck. Er fühlte sich.
    Drei Minuten nach elf hatte er alle erforderlichen Papiere in der Tasche.
    »Wiedersehen!« sagte er mit Gönnermiene zum Kustos, der ihn bis an den Lift begleitete. »Wiedersehen!«
    Er ging ins Hotel hinüber, nahm ein Bad und eine Vibrovakuummassage, ließ sich -elektrolytisch rasieren, hörte sich die Vormittagsnachrichten an, verbrachte eine halbe Stunde am Fernsehapparat, aß gemächlich zu Mittag und flog um halb drei mit dem Aufseher nach Malpais zurück. Der junge Mann stand vor der Schutzhütte.
    »Sigmund!« rief er. »Sigmund!« Keine Antwort.
    Lautlos lief er auf seinen Fellmokassins die Stufen hinauf und rüttelte an der Tür. Die Tür war verschlossen.
    Sie waren weg! Abgeflogen! Niemals war ihm etwas Schrecklicheres widerfahren. Sie hatten ihn eingeladen, sie zu besuchen, und nun waren sie weg. Er setzte sich auf die Stufen und weinte.
    Nach einer halben Stunde fiel ihm ein, durch das Fenster zu spähen. Als erstes erblickte er einen grünen Koffer mit den Buchstaben L. B. auf dem Deckel. Freude flammte in ihm auf. Er ergriff einen Stein. Glassplitter klirrten zu Boden. Im nächsten Augenblick stand er im Zimmer. Er öffnete den grünen Koffer, und sogleich atmete er Leninas Parfüm ein, füllte seine Lungen mit dem Duft ihrer Persönlichkeit. Sein Herz schlug wild, einen Augenblick lang war er einer Ohnmacht nahe. Über den köstlichen Koffer gebeugt, betastete er den Inhalt, hob ihn ans Licht, besah ihn. Die Zippverschlüsse an den Viskosesamthosen, die Lenina zum Wechseln mitgenommen hatte, boten anfangs ein Rätsel, dann - gelöst - höchstes Entzücken. Zipp, zipp - zipp, zipp: er war hingerissen. Etwas Schöneres als ihre grünen Pantoffeln hatte er nie gesehen. Er entfaltete ein Zipphemdhöschen, wurde rot und legte es hastig wieder weg, aber ein parfümiertes Azetattaschentuch küßte er, und einen Schal schlang er sich um den Hals. Beim Öffnen einer Schachtel verschüttete er eine Wolke duftenden Puders. Seine Hände waren ganz damit bestäubt. Er wischte sie an der Brust, den Schultern und den bloßen Armen ab.
    Köstlicher Duft! Er schloß die Augen und rieb die Wange an seinem gepuderten Arm. Glatte Haut berührte sein Gesicht, Moschusgeruch stieg ihm in die Nase - sie war ganz gegenwärtig. »Lenina«, flüsterte er, »Lenina!«
    Ein Geräusch schreckte ihn auf und ließ ihn schuldbewußt herumfahren. Er stopfte seine Diebesbeute in den Koffer zurück und schloß den Deckel, dann lauschte er

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