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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Eines von den vielen Dingen im Himmel und auf Erden, wovon sich jene Philosophen nicht träumen ließen, ist dies - « er machte eine umfassende Handbewegung, » - wir, die moderne Welt. ›Man kann von Gott nur unabhängig sein, solange man sich der Jugend und des Wohlergehens erfreut; Unabhängigkeit geleitet den Menschen nicht heil bis ans Ende.‹ Nun, und jetzt haben wir Jugend und Wohlergehen bis zum allerletzten Augenblick. Was folgt daraus? Offenbar, daß wir von Gott unabhängig sein können. ›Das religiöse Gefühl entschädigt uns für alle Verluste.‹ Wir aber erleiden keine Verluste, für die wir entschädigt werden müßten; demnach ist das religiöse Gefühl überflüssig. Und wozu sollten wir einem Ersatz für jugendliche Triebe nachjagen, wenn der jugendliche Trieb nimmer aufhört? Einem Ersatz für Zerstreuungen, wenn wir uns bis ganz zuletzt an den alten Narreteien erfreuen?
    Wozu brauchen wir Ruhe, wenn unser Geist und Körper weiter in Tatkraft schwelgen? Wozu Trost, wenn wir Soma haben? Wozu etwas Bleibendes, wenn es die Gesellschaftsordnung gibt?«
    »Sie glauben also, daß es keinen Gott gibt?«
    »Im Gegenteil, höchstwahrscheinlich gibt es einen.«
    »Also warum -?«
    Der Aufsichtsrat winkte ab. »Er offenbart sich eben verschiedenen Menschen auf verschiedene Weise. In vormodernen Zeiten offenbarte er sich als das Wesen, das in diesen Büchern beschrieben wird. Heute -«
    »Wie offenbart er sich heute?« fragte der Wilde.
    »Durch Abwesenheit. Als gäbe es ihn nicht.«
    »Das ist eure Schuld.«
    »Nennen Sie es die Schuld der Zivilisation. Gott ist unvereinbar mit Maschinen, medizinischer Wissenschaft und allgemeinem Glück. Man muß wählen. Unsere Zivilisation hat Maschinen, Medizin und Glück gewählt. Darum muß ich diese Bücher in einem Stahlschrank verschlossen halten. Sie sind Schmutz und Schund. Die Leute wären empört, wenn -« Der Wilde unterbrach ihn. »Aber ist es denn nicht natürlich, zu fühlen, daß es einen Gott gibt?«
    »Ebensogut könnten Sie fragen, ob es natürlich sei, die Hosen mit Zippverschluß zu schließen«, sagte der WAR ironisch. »Sie erinnern mich an einen anderen dieser alten Knaben. Er hieß Bradley. Philosophieren, sagte er, heißt, eine schlechte Begründung dafür finden, woran man instinktiv glaubt. Als ob der Mensch an irgend etwas instinktiv glaubte! Man glaubt an etwas, weil man zum Glauben daran genormt wurde. Schlechte Gründe dafür zu finden, woran man aus anderen schlechten Gründen glaubt, das ist Philosophie. Die Menschen glaubten an Gott, weil sie zum Glauben an Gott genormt wurden.«
    »Und trotzdem«, beharrte der Wilde, »ist es natürlich, an Gott zu glauben, wenn man allein ist - ganz allein, in der Nacht, und an den Tod denkt...«
    »Die Menschen sind heute nie allein«, entgegnete Mustafa Mannesmann. »Wir bringen sie dazu, die Einsamkeit zu hassen, und richten ihr ganzes Leben so ein, daß Einsamkeit für sie nahezu unmöglich ist.«
    Der Wilde nickte düster. In Malpais hatte er gelitten, weil er von den gemeinschaftlichen Betätigungen des Pueblo ausgeschlossen war. Im zivilisierten Berlin litt er, weil er den gemeinschaftlichen Betätigungen nicht entgehen, nie in Ruhe allein sein konnte.
    »Erinnern Sie sich der Stelle im ›Lear‹?« fragte er endlich. ›»Die Götter sind gerecht: Aus unsern Lüsten erschaffen sie das Werkzeug, uns zu geißeln. Der dunkle, sünd'ge Ort, wo er dich zeugte, bracht' ihn um seine Augen! ‹ Und Edmund, verwundet, sterbend - Sie erinnern sich? -, antwortet: ›Wahr, o wahr! Ganz schlug das Rad den Kreis; ich unterliege.‹ Wie verhält es sich damit? Muß es nicht einen waltenden Gott geben, der straft und belohnt?«
    »Muß es?« fragte der Aufsichtsrat zurück. »Sie können sich allen erdenklichen Lüsten mit einer Empfängnisfreien hingeben, ohne Gefahr zu laufen, daß Ihnen die Augen von der Geliebten Ihres Sohnes ausgekratzt werden. ›Ganz schlug das Rad den Kreis; ich unterliege.‹ Aber wo läge Edmund heute? In einem pneumatischen Fauteuil, den Arm um die Taille eines Mädchens, während er Sexualhormonkaugummi kaut und einen Fühlfilm ansieht. Die Götter sind gerecht. Ohne Zweifel! Aber ihr Gesetzbuch is t letztlich von den Organisatoren der menschlichen Gesellschaft diktiert. Die Vorsehung läßt sich von den Menschen soufflieren.«
    »Sind Sie dessen gewiß?« fragte der Wilde. »Sind Sie wirklich so sicher, daß Edmund im pneumatischen

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