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Schoenhauser Allee

Titel: Schoenhauser Allee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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vom Staat geschenkt. Auch die meisten meiner Mitschüler lebten mit ihren Eltern in solchen Wohnblocks.
    In unserer Klasse waren aber auch einige Opportunisten, deren Eltern keine Arbeiter waren, sondern Parteibeamte, Mitarbeiter des Innenministeriums oder Armeeoffiziere. Für diese Familien wurden zwei Neubauten mit einer verbesserten Architektur in unmittelbarer Nähe der Metrostation errichtet. Unsere Häuser waren alle grau, diese neuen waren weiß. Die Wohnungen dort waren dreißig Zentimeter höher als unsere. Besonders die Offizierssöhne hielten ihre Nasen hoch. Sie bildeten eine geschlossene Gruppe und wollten mit uns nichts zu tun haben. »1,90« nannten sie uns verachtend. Damit war die Zimmerhöhe in unseren Neubauten und gleichzeitig unser intellektuelles Potenzial gemeint.
    Altbauten gab es in unserem Moskauer Außenbezirk gar nicht. Die Stadt wuchs in alle Richtungen und verschlang mehrere Dörfer. Die Baubrigaden sprengten die alten Häuser einfach in die Luft, und die Neubausiedlungen übernahmen oft den Namen der Dörfer. So hieß unser Bezirk ziemlich umständlich »Korovino-Funkino«, was sich ins Deutsche kurz und knapp als »Kuhscheiße«übersetzen lässt. Zwar gab es bei uns weit und breit keine Kühe mehr, trotzdem fanden die meisten Bewohner des Bezirks diesen Namen treffend. »Wo wohnst du, mein Sohn?«»In der Kuhscheiße.« Man konnte sich sofort etwas darunter vorstellen.
    Die Offizierssöhne und die Arbeitersöhne konnten einander nicht ausstehen und lieferten sich regelmäßig Schlachten auf dem Schulhof. Danach rief der Schuldirektor alle Eltern zu sich. Auf der Versammlung ging es nicht um soziale Gerechtigkeit, sondern um Jugend und Gewalt. Richtig interessiert waren an diesem Thema jedoch nur die Rentner, die immer schon genau registriert hatten, wessen Sohn wen verdrosch. Die ganze Lächerlichkeit des Dreißigzentimeterstreites wurde mir erst später bewusst, als ich nach zwei Jahren Wehrdienst aus der Armee zurück nach Hause kam. Ich konnte die Wohnung nicht mehr wieder finden. Ich hatte das Gefühl, wenn ich diese Zelle betrete, wird sie sofort mitsamt dem Haus zusammenbrechen. 27 Quadratmeter! Allein das Klo in unserer Kaserne war 100 Quadratmeter groß gewesen.

Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: Carlos Castaneda
    Am Wochenende, wenn der Kindergarten zu ist, gehe ich mit meiner Tochter Nicole zum Spielen auf den Arnimplatz. Wir kommen an der Kneipe »Bärenhöhle« vorbei, in der kreative schwule Bauarbeiter ein »Bärengedeck« trinken – eine Mischung aus Bärenpils und Piccolosekt. Dann geht es rüber zum »Burger-King«, wo wir immer eine Pappkrone umsonst bekommen. Ich weiß nicht viel über Bettina von Arnim, aber der ihr gewidmete Park ist der größte Spielplatz in unserer Umgebung. Viele Kinder laufen dort herum, aber sie spielen nur ungern miteinander. Und wenn schon, dann will jeder seine eigenen Spielregeln durchsetzen. Ein rotznasiger Junge zum Beispiel: Er treibt sich ständig auf dem Arnimplatz herum, nascht von jeder zweiten Blume ein bisschen und kaut die Blätter von allen Büschen. Dann spült er den Mund mit einem Haufen Sand und fängt wieder von vorne an. Seine Eltern wollen oder können ihn nicht daran hindern, sie wissen aber, dass Kinder in dem Alter noch naiv sind und viel bessere Verdauungsmöglichkeiten als wir Erwachsene haben.
    Die Kinder wollen alles selbst ausprobieren, verzehren, anfassen. Erst wenn sie älter werden, lesen sie vielleicht mal Carlos Castaneda und lernen, welches Blatt man von welchem Busch zu welcher Jahreszeit essen sollte. Bei diesem Thema ist der Erfinder des
Don Juan
der König. Vor Jahrzehnten hat er bereits die Erfahrung gemacht; dass nicht jedes Gräschen in den Mund gehört und man nicht auf jeden Kaktus scharf sein muss. Nur, wie findet man den richtigen Kaktus? Diese Frage lässt sogar Castaneda unbeantwortet. Eine Freundin von mir, Katja, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter in der Nähe des Arnimplatzes wohnte, studierte Tag und Nacht Castaneda. Dazu probierte sie alle halluzinogenen Drogen aus, die sie kriegen konnte, auch die Büsche auf dem Arnimplatz waren vor ihr nicht sicher. Ihr Mann war ein leidenschaftlicher Händler, er kaufte und verkaufte alles, was ihm in die Finger kam. Seine Verkaufsannoncen in den russischen Zeitungen sahen immer beeindruckend aus: »Verkaufe zwei gebrauchte Kinderfahrräder, eine Einzimmerwohnung in Wilna und große Waldflächen in Sibirien.« Einen

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