Schoenhauser Allee
Die heute nicht mehr aktuellen, plump wirkenden Sach- und Aufklärungsbücher, wie Hans Grottes
Woher die kleinen Kinder kommen
, ein Ullstein-Ratgeber mit vielen Skizzen und Zeichnungen, erweckten auch keine Habgier in mir. Diese Problematik gehörte der Vergangenheit an. Für mich als Vater war es viel interessanter zu erfahren, wo die kleinen Kinder hingehen, wenn sie größer geworden sind und sich womöglich nächtelang herumtreiben. Doch davon hatte der Ullstein-Ratgeber keine Ahnung. Die restlichen Bücher nahm ich mit nach Hause.
Dort untersuchte ich in Ruhe meine Mülleimerbibliothek weiter: Zwei Romane von Peter de Lorent:
Die Hexenjagd: Ein Berufsverbotsroman
und
Bin ich Verfassungsfeind?.
Der Autor und gleichzeitige Herausgeber war Redakteur der Hamburger Lehrerzeitung
HLZ
, hatte Berufsverbot bekommen und es auch sonst nicht leicht gehabt. Man merkt, dass damals in Hamburg tierisch was los gewesen sein muss. Dann
Die Blechtrommel
von Günter Grass, ein Sammelband mit Gedichten von Wolf Biermann, und von Fritz Rudolf Fries
Leipzig am Herzen und die Welt dazu. Eine Weltreise.
»Wir stehen am Alex und schauen nach links«, so fängt Fries' Buch an. Und es beginnt eine Weltreise zwischen Berlin-Lichtenberg und Leipzig Hauptbahnhof. Der Autor ist ein in Bilbao geborener Leipziger. Eine gemütliche kleine Welt tut sich da auf. Das Rattern der S-Bahn, der Geruch von Braunkohle und Rotkohl: Fritz aus Bilbao, wo steckst du heute?
Schach bei Vollmond
von Wolfgang Ecke,
20 spannende Kriminalfälle zum Selberlösen
, Band Nummer 7 einer ganzen »Ecke-Serie«. Wolfgang Ecke war der erste Jugendbuchautor, der mit dem »Goldenen Taschenbuch« ausgezeichnet wurde. Über eine Million verkaufte Exemplare. Wer kennt nicht seine Fernsehsendungen »Aufgepasst – Mitgemacht!« und »Wer knackt die Nuss?«. Das waren noch Zeiten, da hat er wirklich was bewegt. Nun liegt er im Mülleimer und riecht nach Spinat.
Das Nein in der Liebe – Abgrenzung und Hingabe in der erotischen Beziehung
. Muss jeder unbedingt mal lesen. Kapitel 1: »Liebe ohne Sexualität: Verschmelzung und Widerstand«. Kapitel 2: »Das versteckte Nein zerstört die Liebe«. Ganz vorne steht eine Widmung: »Liebe Heike zum Geburtstag Herzliche Grüße Dein Jörg.« Heike, das ist bestimmt die Frau, die die Bücher weggeschmissen hat. Ich habe das Gefühl, ich kenne sie. Sie hat wahrscheinlich Literaturwissenschaft oder etwas Ähnliches in Leipzig studiert. Die ganze Zeit die Jungs angemacht und in Kneipen gesessen. Höchstwahrscheinlich haben wir sogar gemeinsame Bekannte: Sabine, die Ex-Frau von Horn, oder Gudrun, die jetzt Theater spielt. Wieso wirfst du jetzt alle Bücher weg, sogar das von Jörg? Wo willst du hin? So schnell kann man doch seine Vergangenheit nicht entsorgen. Die steckt in einem drin. Egal, wo man landet, muss man sich mit Abgrenzung und Hingabe beschäftigen.
Dann mein Landsmann Alexander Twardowski, auch von Reclam Leipzig und schon ein wenig zerfleddert. Mit dem Kriegspoem »Wassili Tjorkin«. Guter Soldat. Hübsche Strophen. Alles gereimt. Was hast du, Heike, gegen Wassili Tjorkin? Aus irgendeinem Grund hast du ihn dir doch angeschafft. Falls du deine scheinbare Erleichterung doch noch bereust, werde ich ihn für dich aufbewahren.
Im Übrigen, wenn du das hier liest: Hast du noch
Das Schloss der roten Affen
von Wolfgang Ecke? Den würde ich auch noch gerne haben. Und sei nicht so voreilig. Schmeiß nicht alles auf einmal über Bord.
Ein Ausflug von der Schönhauser Allee
Neulich kam mein Freund und Kollege Helmut Höge zu mir: »Du weißt, Wladimir«, sagte er, »dass ich mich seit langer Zeit für Partisanen aller Art interessiere. Nun bietet sich die einmalige Gelegenheit, einen noch lebenden Partisanen in Berlin kennen zu lernen.
Der weißrussische Schriftsteller Vasil Bikau trifft sich heute Abend mit seinen Lesern im Klub
Trialog.
Er schreibt seit sechzig Jahren über nichts anderes als den Krieg und die Partisanen. Lass uns dort vorbeischauen.«
Wir tranken schnell einen Wodka und gingen hin. Im kleinen Raum des Klubs saßen etwa zwei Dutzend Veteranen – alles Emigranten aus Russland – und warteten auf ihren Helden.
Helmut war anscheinend der einzige Deutsche auf der Veranstaltung. Etwas später erschien auch der Schriftsteller, begleitet von dem coolsten Dolmetscher Berlins, der an dem Abend wie gewöhnlich voll war.
»Guten Abend«, sagte der Schriftsteller ins Publikum.
»Hallihallo«, übersetzte der
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