Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
eines Tages Menschen geben sollte, die sich freiwillig in lebenserhaltende Tanks legen, um in virtuellen Welten ihren realen Körper für immer zu vergessen, würde ein simpler Stromausfall wahrscheinlich ihren Tod bedeuten. Es liegt also auch an uns, wie weit wir es kommen lassen.
Doch selbst wenn sich eine zunehmende Abhängigkeit von der Technik nicht vermeiden lässt: Es ist unwahrscheinlich, dass technische Fehler in der Summe schlimmer sind als all die Naturkatastrophen, Kriege und Krankheiten, die die Menschheit schon immer heimgesucht haben und deren Auswirkungen vielleicht mit Hilfe der Technik gemildert werden können. Es bleibt also die Hoffnung, dass eine von Maschinen beherrschte Zukunft insgesamt nicht schlechter sein wird als unsere bewegte Vergangenheit. Vermutlich aber sehr viel überraschender.
3.2. Wir haben die Wahl
Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass sich die Menschheit - genauer gesagt, der Teil der Menschheit, der den Komfort moderner Technologie genießen kann - in eine möglicherweise verhängnisvolle Abhängigkeit von den Maschinen begeben könnte. Eine Abhängigkeit, die letzten Endes vielleicht zu einer Art Sklaven- oder auch Haustier-Dasein unter der Herrschaft intelligenter Maschinen führen wird, wenn man den pessimistischen Gedanken des Una-Bombers folgt.
Bill Joy, einer der Gründer der Firma Sun Microsystems und als Entwickler der Programmiersprache Java einer der bedeutendsten Pioniere des Internets, veröffentlichte im Jahr 2000 einen aufsehenerregenden Essay mit dem Titel »Warum die Zukunft uns nicht braucht«. Darin heißt es: »Doch nun, mit der Aussicht, dass Computer in 30 Jahren die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns erreichen, drängt sich mir ein neuer Gedanke auf: dass ich vielleicht dabei bin, die Werkzeuge zu schaffen, mit denen eine Technologie konstruiert wird, die den Menschen ersetzen könnte. Wie ich mich dabei fühle? Verdammt unwohl.«
Wenn jemand wie Bill Joy sich unwohl fühlt, dann sollte man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er ist sicher kein »moderner Luddit« wie vielleicht Theodore Kaczynski, denn er hat die Entwicklung moderner Technologie maßgeblich mit vorangetrieben. Und sein Essay zeugt von profunder Fachkenntnis.
Ich habe darzulegen versucht, dass der Fortschritt in Form der memetischen Evolution nicht aufzuhalten ist und sich zumindest noch einige Zeit weiter exponentiell beschleunigen dürfte. Ein unangenehmes Gefühl der Unsicherheit angesichts der sich daraus ergebenden Konsequenzen ist durchaus angebracht. Und die von Bill Joy aufgeworfene Frage ist nicht unberechtigt: Braucht uns die Zukunft eigentlich noch?
Die Antwort darauf ist ebenso einfach wie ernüchternd: nein!
Die Zukunft, die Natur, das Leben auf der Erde haben uns nie gebraucht. Auch die Evolution wäre prima ohne uns ausgekommen, obwohl wir ihr als Beschleuniger der Entwicklung der Meme durchaus nützlich sind. Wir Menschen sind auf diesem Planeten nur geduldet. So wie alle anderen Spezies müssen wir jeden Tag aufs Neue beweisen, dass wir unseren Platz im knappen Lebensraum der Erde zu Recht innehaben.
Wir müssen uns klarmachen, dass sich unsere heutige Existenzberechtigung nur aus unserer Rolle als Beschleuniger der memetischen Evolution ableitet. Ohne die Technik, die mit unserer Hilfe entstanden ist, wären wir vermutlich längst ausgestorben oder würden in ökologischen Nischen ein bescheidenes Dasein fristen. Früher oder später würde eine andere Spezies Intelligenz entwickeln und irgendwann auch Computer bauen. Spätestens dann würde es uns nicht anders ergehen als den letzten Berggorillas und Orang-Utans.
Wir leben mit den Maschinen, die uns am Leben erhalten, in Symbiose - einer Symbiose, die das Leben auf der Erde grundsätzlich verändert. Und es ist durchaus denkbar, dass unsere Symbionten irgendwann völlig ohne uns auskommen und sich aus dieser Zweckgemeinschaft lösen, um ihrer eigenen Wege zu gehen - so etwas kommt auch in der Natur vor.
Was also sollen wir tun? Den Fortschritt mit allen Mitteln verlangsamen? Zurück in die Steinzeit im buchstäblichen Sinn? Das sind sicher keine ernstzunehmenden Optionen, und sie würden aus den oben erwähnten Gründen auch nicht funktionieren. Doch wir stehen dieser Entwicklung keinesfalls hilflos gegenüber. Denn wir verfügen über eine enorme Macht: Wir können selektieren.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wie die memeti-sche Evolution funktioniert: Meme werden über
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