Gott´sacker (Krimi-Edition)
1
Die Eingeweide verschmierten sich zu einem gelblichweißen Brei, der mir das Sehen erschwerte. Mit meinen schwarzen Lederhandschuhen versuchte ich die zäher werdende Masse zu beseitigen. Aber das Geschmiere wurde nur noch schlimmer.
Ich beschnitt den Vorwärtsdrang meiner nachtschwarzen Harley, indem ich die rechte Hand vom Gas nahm. Die Bremswirkung des schweren V-Motors ließ mich auf der schmalen Straße ausrollen. Das Visier nach oben – wieder freie Sicht.
Gottverdammte Drecksviecher.
Ich manövrierte das schwere Eisen rechts auf den unbefestigten Rand der Straße.
Die Augustsonne versetzte mir einen sanften Schlag auf den Kopf, als ich den Helm abnahm. Der Geruch von heißem Motor, Straßenhitze und Gras – und noch irgendetwas anderem stieg in meine Nase. Mit einem zerknüllten Papiertaschentuch aus meiner Lederjacke und viel Spucke versuchte ich, die Überreste des geborstenen Insektes von meinem Visier zu entfernen. Den krustigen Chitinpanzer zog ich vorsichtig mit dem Fingernagel meines Daumens vom empfindlichen Sichtschutz. Aus den Fragmenten des gesplitterten Chitinpanzers, die grünlich in der Sonne schillerten, schloss ich, eine Schmeißfliege vom fliegenden in den endgültig statischen Zustand gebracht zu haben.
Jetzt erst fiel mir auf, dass die stehende Hitze nicht nur vom Musizieren der Grillen erfüllt war; eine eintönige an- und abschwellende Melodie des Summens bildete die Bassbegleitung. Über der einsamen Riedstraße zeichnete die Hitze eigenartige Schlieren in die Luft. Von der heißen Straße schlug der Geruch von Teer in mein Gesicht, vom Dorf her roch es nach Mist. Dem ländlich-olfaktorischen Gemenge schien aber noch etwas anderes beigemischt, wellenartig trug mir die heiße Luft einen süßlich widerlichen Geruch zu. Wäre nicht das Summen gewesen, hätte ich bestimmt schnell wieder das vor Hitze tickende Motorrad bestiegen und wäre weitergefahren, um mir etwas Kühlung durch den Fahrtwind zu verschaffen.
Jetzt sah ich es. Direkt neben der halb zerfallenen Kapelle, die schief auf riedigem Boden stand, manifestierte sich das Summen in einem dunklen Schwarm fetter Fliegen. Sie schienen in einem konzertanten nervösen Luftreigen um die Kapelle herumzutanzen. Neugierig ging ich näher an das baufällige Gotteshäuschen heran.
Ich wohne schon so lange auf dem Land, dass mir der Geruch, der jetzt noch dichter von der Kapelle herübergetragen wurde, nicht fremd war.
In der Stadt riecht man es nicht, dort werden überfahrene oder sonst irgendwie zu Tode gekommene Tiere sofort von der Stadtreinigung weggeräumt. Ein totes Tier ist nicht gut für den anwachsenden Städtetourismus.
Nicht so auf dem Land, vor allem nicht hier an dieser Straße, wo man noch stundenlang warten kann, bis ein Auto vorbeikommt.
Der Geruch war eindeutig der des Todes. Irgendein Tier musste hier schon etwas länger neben der alten Kapelle in der Sonne liegen. Ein Tier, das mit Sicherheit nicht mehr lebte.
Wie hatte der Freiburger Professor Schlesinger in seiner Vorlesung für die Erstsemester ›Post mortem est ante mortem‹ gesagt: »Vergessen Sie das mit dem Puls – erst wenn Sie den Tod riechen …« Und jetzt roch ich ihn in seiner ekelhaftesten Art.
Vielleicht ein Reh, für eine Maus braucht es nicht so viele Fliegen.
Durch das hohe Gras lief ich auf dem weichen Boden zur Schattenseite der Kapelle. Aus dem Geruch wurde Gestank. Ich atmete durch den Mund und versuchte, meine Nase aus dem Atmungsprozess auszuschließen. Die Fliegen schienen mein Eindringen in ihren Bereich übel zu nehmen. Einige der grünlich schimmernden Insekten versuchten auf meiner schweißnassen Stirn zu landen.
Ich lebe doch noch – bestimmt der Knoblauch, … Spaghetti aglio olio …
Dies, eines meiner Leibgerichte, da schnell zubereitet und von exzellentem Nährwert, hatte ich mir gestern Abend zubereitet. Und mit Knoblauch gewiss nicht gespart. Der Gedanke an das feine Pastagericht zauberte mir ein retrospektives Lächeln ins Gesicht, das jedoch durch einen Atemfehler jäh wieder verschwand und einem Gefühl schlagartiger Übelkeit Platz machte. Ich würgte, schluckte und dachte schon daran, wieder umzukehren, als ich den Schuh auf der Erde liegen sah. Es war bei Gott kein schlechter Schuh, kein italienischer Schick, aber solides Wanderwerkzeug aus braunem Leder. Und lange lag der bestimmt nicht.
Ein zweiter wäre nicht schlecht – auch zum Motorradfahren gut geeignet.
Ich hob das lederne Laufutensil
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