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Schottische Engel: Roman (German Edition)

Schottische Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schottische Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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die Autos nicht gesehen hat und dann vor Schrecken davongelaufen ist.«
    Die Sanitäter trugen Mary Ashton hinauf zum Straßenrand und betteten sie vorsichtig auf den schmalen Rücksitz des Maserati. Einer blieb neben ihr sitzen, der andere ging zum Polizeiwagen.
    »Wir suchen noch die Gegend ab, um sicher zu sein, dass hier kein Kind mehr ist«, rief Kommissar Paul Shipton und ging hinüber zur Straßenseite, wo das Rad lag. Als sie oberhalb der Böschung einen Feldweg fanden, der zum Park von ›Lone House‹, dem Anwesen von Lord McClay führte, und gleich darauf einen Schulranzen entdeckten, wussten sie, dass hier ein Kind fortgelaufen war.
    »Fahren wir rüber zum Schloss«, erklärte Shipton, »die Meilen zu Fuß können wir uns sparen.«
    Als sie zur Straße zurückkamen, war McClay gestartet und im Regendunst verschwunden. Shipton legte das Kinderfahrrad und den Ranzen auf den Rücksitz und folgte ihm.
    Bevor die ersten Häuser von Tibbie Shiels Inn auftauchten, ging es rechts ab zum ›Lone House‹. Das Schloss machte seinem Namen alle Ehre. Es lag einsam und versteckt in einem Seitental zwischen Dryhope und Cappercleuch und war für Fremde fast unauffindbar. Kein Hinweisschild, kein Zufahrtstor deuteten auf die Nähe des Schlosses. Die Generationen der McClays, die hier seit dem 16. Jahrhundert ihr Domizil hatten, liebten die Abgeschiedenheit, die Ruhe, die einzigartige Lage am Fuß der Berge, und David McClay, der Letzte der Familie, hatte nicht die Absicht, daran irgendetwas zu ändern. Im Gegensatz zu anderen Schlössern dieser Gegend war es nicht im wuchtigen Tudorstil gebaut, sondern besaß die Schlichtheit eines zweigeschossigen schottischen Landhauses. Es gab zwar Anbauten, je nachdem wie groß die Familie gerade war, aber Prunk und Masse waren nie ein Maßstab gewesen.
    David McClay liebte sein Zuhause. Hier hatte er seine Wurzeln, hier war er aufgewachsen. ›Lone House‹ war sein ruhender Pol. Glasgow, London, Los Angeles, Paris und Tokio waren die Orte der Arbeit, der Hektik, der Rastlosigkeit.
    Dass er heute nicht auf kürzestem Wege über die Autobahn gefahren war, lag an Produktionsgesprächen in Galashiels, die er persönlich leiten musste. Umso mehr hatte es ihn gedrängt, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Aber dann hatte er den Landrover vor sich gehabt, dessen Fahrer, anscheinend fremd in dieser Gegend, mehr als vorsichtig unterwegs war. ›Ich bin zwar ein höflicher Mensch, aber ein bisschen schneller hätte sie schon fahren können‹, dachte er auf dem schmalen Schotterweg, der über die letzten Meilen nach ›Lone House‹ führte. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Sanitäter sprach leise mit der Fahrerin. ›Anscheinend ist sie wieder bei Bewusstsein. Trotz der blutverschmierten Gesichtshälfte und dem Kopfverband eine gut aussehende Frau‹, dachte er. ›Hoffentlich behält sie keine bleibende Narbe.‹ Der Sanitäter nickte ihm zu, als wollte er sagen: Ist nicht so schlimm, wird schon wieder!
    Die Männer von Tibbie Shiels Inn kannten den Lord. Trotz seiner überragenden Persönlichkeit war er hier ein allseits beliebter Mann, weil er nie den Lord hervorkehrte, sondern immer nur den Nachbarn und Arbeitgeber, denn die meisten der wenigen Einwohner des kleinen Orts waren bei ihm beschäftigt – im Schloss, in der Landwirtschaft und vor allem im Wald. Manchmal kam er täglich nach ›Lone House‹, dann wieder dauerte es Wochen oder Monate, bis er sein Heim aufsuchte. Die Arbeit bestimmte sein Leben, und die Erfolge der von ihm produzierten Filme bestimmten seinen Aufenthaltsort.
    McClay war mit seinen achtundvierzig Jahren weltweit einer der besten Produzenten historischer Filme. Eine Koryphäe mit großem Ansehen, meldeten die Medien, ein schwieriger, ehrgeiziger, unruhiger Mensch, flüsterten die Mitarbeiter am Set. Ein hinreißender, faszinierender Mann, tuschelten die Frauen, und enttäuschte Mädchen schimpften: ein hochmütiger, arroganter Angeber. Fachleute behaupteten: McClay ist der Beste, er ist genial und nicht zu übertreffen, und Neider erklärten ganz unbeeindruckt: Er ist ein rücksichtsloser Egoist. Nur was er wirklich war, wusste keiner: David McClay war ein einsamer Mensch, deshalb fühlte er sich in ›Lone House‹ so wohl.
    Er sah wieder in den Rückspiegel, und als sich seine Augen mit denen des Sanitäters trafen, lächelte er ihm zu. Er wusste, was die Leute von ihm dachten – es war ihm gleichgültig. ›Ruhm‹, dachte er, ›ein

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