Schrecken der Nacht
Zeit in seiner Kabine verbracht. Da war die Sonne weiter in Richtung Westen gewandert. Jetzt stand sie zwei Handbreit über dem Meer, als wollte sie sich irgendwann in die Tiefe fallen lassen.
Noch war es warm, aber er sah auch die langen Wolkenbänke, die sich über den Himmel schoben. Im Süden sahen diese Formationen anders aus. Wuchtiger und in Schichten übereinanderliegend. Auch die Schwüle hatte zugenommen. Alle Anzeichen wiesen auf ein kräftiges Gewitter hin, das sich noch in den Abendstunden entladen konnte.
Er ging bis zum Bug des Boots und ließ seinen Blick über die Kulissen der Stadt streifen. St. Tropez stand wieder einmal dicht vor dem Kochen. Die Menschen hatten den Strand verlassen und sich für die heiße Nacht vorbereitet.
Ja, wie immer.
Trotzdem war es anders.
Eros spürte es.
Da lag etwas in der Luft, das er nicht fassen und erklären konnte. Einfach nur spüren. Es waren diese Schwingungen, die viele Menschen hier in eine permanente Party-Stimmung versetzten. Er kannte das. Er hatte die wilden Nächte erlebt und hätte auch an diesem frühen Abend nicht anders reagiert, aber das war nicht mehr möglich. Es gab bei ihm ein Hindernis. Eine innere Sperre.
Kaum noch jemand stand auf dem Deck seines Bootes. Entweder hatten die Eigner den Hafen verlassen, oder sie hockten in einem der zahlreichen Lokale von St. Tropez.
Alles war wie sonst.
Und trotzdem anders.
Eros drehte sich um. Er wollte wieder unter Deck. Noch eine halbe Stunde warten, dann würde er sein Boot verlassen und sich in den wilden Trubel stürzen.
Vom Kai her kam eine Gestalt. Er hatte nicht darauf geachtet und war schon halb im Niedergang verschwunden, als er hörte, wie jemand auf die Planken sprang.
Eros drehte sich um.
Noch stand er hoch genug, um über das Deck zu schauen, und er hatte plötzlich das Gefühl einzufrieren.
Den Mann, der sein Boot betreten hatte, kannte er. Aber er hätte ihn niemals hier vermutet, sondern irgendwo in der Einsamkeit Rumäniens.
»Marek?« ächzte er.
»Genau, Eros. Glaubst du, ich hätte dich vergessen? Nein, ich führe immer das durch, was ich mir vorgenommen habe. Es hat seine Zeit gedauert, doch jetzt habe ich dich gefunden. Ich denke, daß wir beide uns unter Deck besser unterhalten können, nicht wahr?«
Eros zögerte einen Moment. Er suchte den Trick, aber er fand keinen. »Ja, ist gut, gehen wir...«
***
Eros und Marek standen sich in der Kabine gegenüber. Marek praktisch noch auf der Türschwelle, und die Tür hinter sich hatte er nicht geschlossen.
Beide schauten sich an. Marek mußte sich wirklich zusammenreißen, um in Eros einen Todfeind zu sehen. So wie er vor ihm stand, war er mit dem Schrecken der Nacht nicht zu vergleichen. Jetzt wirkte er tatsächlich wie einer der zahlreichen Latin Lover, die an der Küste herumturnten und auf der Suche nach Frauen waren.
»So, und jetzt will ich hören, warum du zu mir gekommen bist, Pfähler.«
»Ich will dich unschädlich machen.«
Eros lachte. »Mich?« Er lachte noch einmal. »Wieso mich? Was habe ich dir getan? Bin ich ein Vampir?« Er öffnete seinen Mund, um die Zähne zu zeigen, die völlig normal waren.
»Noch bist du keiner«, erklärte der Pfähler. »Ich kenne dich. Ich habe das Tagebuch des Mönchs gelesen. Ich weiß genau, was mit dir los ist. Du bist Mensch und Vampir...«
»Ich jage sie! Ich jage sie ebenso wie du!«
»Stimmt. Aber du hast sie zuerst dazu gemacht. Dr. Jekyll und Mr. Hyde in einer anderen Version. Du kannst nicht gegen dein Schicksal an. Du wirst dich immer wieder in den Schrecken der Nacht verwandeln, bis dein endgültiges Ziel erreicht ist. Du wirst immer wieder Menschen zu Vampiren machen, um sie danach zu töten. Es ist deine Bestimmung, und es ist auch dein Fluch, und es muß jemanden geben, der dich davon befreit. Deshalb bin ich hier. Ich habe es einmal nicht geschafft, aber das wird mir nicht mehr passieren.«
»Dann mußt du mich töten!«
»Das habe ich vor!«
»Abgesehen davon, daß es dir kaum gelingen wird, es wäre nach deinen Gesetzen Mord.«
»Nein, es wäre für die Menschen eine Erlösung. Und das weißt du auch, Eros. Die Mönche, die dich großgezogen, haben immer wieder überlegt, ob sie es nicht tun sollten. Sie haben zu lange gezögert, und sie hatten zu große Skrupel. Ich nicht, Eros. Ich töte untote Monster, und ich jage auch deren andere Abarten. Deshalb bin ich gekommen, um deinem Dasein einen Schlußstrich zu setzen. Es ist vorbei. Ich habe die beiden
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