Schrei der Nachtigall
leicht halten können.«
Köhler kam kaum fünf Minuten nach dem Anruf. Er begrüßte Liane Wrotzeck mit einer beinahe herzlichen Umarmung, doch als er Brandt erblickte, verfinsterte sich seine Miene schlagartig.
»Was ist hier los?«, fragte er scharf.
»Erhard, ich möchte dir etwas sagen. Ich habe Kurt getötet. Eigentlich war es mehr ein Unfall …«
»Wie bitte?! Du? Warum?«, fragte Köhler entsetzt und nahm auf einem Stuhl Platz.
»Weil Kurt drei Menschen umgebracht hat, seinen Vater, Inge und Johannes. Und beinahe auch Allegra. Ich habe es durch Zufall erfahren. Herr Brandt hat es schon geahnt …«
Köhler winkte ab. »Ich weiß, ich weiß. Das muss ich erst mal verdauen. Wie ist das geschehen, ich meine, wie hast du es geschafft, Kurt …«
»Ein andermal, wenn ein bisschen Ruhe eingekehrt ist.«
»Herr Köhler«, sagte Brandt, »wenn ich gestern etwas zu forsch war, bitte ich das zu entschuldigen …«
»Schon gut, ich hab’s mir nur nicht vorstellen können. Doch anscheinend gibt es nichts, was es nicht gibt.« Er stand wieder auf und reichte Brandt die Hand. »Tut mir leid wegen gestern. Aber jetzt kann ich vielleicht endlich mal ruhig schlafen … Wie hat er meine Frau und meinen Sohn umgebracht?«
»Er ist einfach von hinten gekommen und hat sie mit dem Range Rover von der Straße geschoben. Es wird einen Prozess geben, bei dem Sie am besten auch aussagen. Das Gericht wird interessieren, wie das Verhältnis zwischen Ihnen und Herrn Wrotzeck war.«
»Gerne, denn ich möchte Liane helfen, so gut ich kann. Dieses verfluchte Stinktier! Dieses gottverdammte, verfluchte Stinktier! Hat er Inge wirklich nur umgebracht, weil er es nicht verwinden konnte, dass sie meine Frau wurde? Nur deswegen?«
»Scheint so«, sagte Brandt.
»Was glaubst du wohl, warum er mich so schnell geheiratet hat?«, fragte Liane Wrotzeck. »Bestimmt nicht aus Liebe, sondern um dir zu zeigen, was er so drauf hat. Dass er jede rumkriegen kann, und damals war ich noch einigermaßen ansehnlich …«
»Das bist du doch immer noch«, sagte Köhler und nahm Liane in den Arm.
»Ich habe keine Ahnung, wie lange er schon mit dem Gedanken gespielt hat, deine Familie zu zerstören, aber es muss schon sehr lange gewesen sein.«
»Ich kann dir nur alles Gute wünschen und vor allem viel Kraft. Wie geht es Allegra?«
»Gut. Besuch sie doch mal.«
»Das werde ich machen. Und wenn sie wieder richtig fit ist, wird es ein Fest geben«, sagte er mit glasigen Augen, als ginge es um seine eigene Tochter. »Ein Fest, wie es dieses verdammte Kaff noch nie gesehen hat.«
Er umarmte Liane, nickte Brandt zu und ging nach draußen. Liane folgte ihm, gab ihm noch ein paar Worte mit auf den Weg und kam wieder zurück. Sie sah Brandt mit einem entschuldigenden, fast mädchenhaften Lächeln an.
»Ich bin bereit zu gehen. Soll ich irgendetwas einpacken?«
»Nein, nicht nötig. Wir fahren ins Präsidium, ich werde die Staatsanwältin informieren, sie wird sich ebenfalls mit Ihnen unterhalten, und dann können Sie wieder nach Hause gehen beziehungsweise ein Streifenwagen wird Sie zurückbringen. Mein Wort drauf.«
Sie hinterließ Thomas einen Zettel mit einem Vermerk, dass sie gegen Abend zurück sei, und legte ihn gut sichtbar auf den Tisch. Brandt rief Elvira Klein an, die sich mit einem knappen »Ja« meldete.
»Brandt. Wann können Sie im Präsidium sein?«
»Warum? Es ist Sonntag und …«
»Nach meiner Zeitrechnung auch. Sagen wir in einer Stunde? Ich habe hier jemanden, den Sie unbedingt kennenlernen sollten. Mehr dazu nachher.«
»Warten Sie …«
»In einer Stunde«, sagte Brandt und legte auf.
»Wer war das?«, fragte Liane Wrotzeck verwundert.
»Unsere Staatsanwältin. Sie ist etwas spröde, aber ansonsten in Ordnung.«
Um sechzehn Uhr fünfzehn waren sie im Präsidium. Brandt nahm die Aussage von Liane Wrotzeck auf und war noch mitten dabei, als die Tür aufging und Elvira Klein hereinkam. Ihr Blick drückte nicht gerade Freude aus, doch als sie die Frau sah, wurde sie sofort etwas zugänglicher.
»Frau Wrotzeck, das ist Frau Klein, unsere Staatsanwältin. Wir sind gleich fertig.«
»Herr Brandt, könnte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?«, fragte Elvira Klein in diesem unverwechselbar bestimmenden Ton.
»Gerne, aber nur kurz.«
Sie begaben sich ins Nebenzimmer und machten die Tür hinter sich zu.
»Warum sollte ich herkommen?«, fragte Elvira Klein und sah Brandt durchdringend an.
»Diese Frage hätte ich nun
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