Schrei der Nachtigall
verließ. Du wirst dich niemals ändern, dachte er nur und fuhr zurück ins Präsidium.
Epilog
Am darauffolgenden Tag rief Matteo Caffarelli bei Brandt an und teilte ihm mit, dass die Uhr fertig sei. Brandt fuhr am Abend mit Andrea zu ihm, sie blieben eine Weile, und als er bezahlen wollte, winkte Caffarelli nur ab.
»Das geht aufs Haus. Sie haben so viel für uns alle getan, das kann man gar nicht wiedergutmachen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns mal wiedersehen könnten.«
Brandt nahm Caffarelli zur Seite und sagte: »Weiß Allegra inzwischen, dass Sie ihr leiblicher Vater sind?«
Caffarelli schmunzelte und erwiderte: »Ja, sie weiß es. Das macht es für mich in Zukunft leichter. Ich habe endlich eine Tochter. Ich bin einfach nur dankbar für all die Kostbarkeiten, die mir das Leben schenkt. Ich habe eine wunderbare Familie, die jetzt sogar noch ein wenig größer geworden ist. Und Liane hat mir erzählt, dass sie aller Voraussicht nach nicht ins Gefängnis muss. Aber das habe ich schon vorher gewusst, doch sie wollte mir nicht glauben. Deshalb hat sie auch so lange geschwiegen.«
»Das heißt, Sie haben das alles die ganze Zeit über gewusst?«
»Natürlich, aber ich kann schweigen. Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Wrotzeck war es, und er hat Dinge getan, die vielen andern sehr geschadet haben. Er war nicht böse, es ist nur irgendetwas in seinem Leben falsch gelaufen …«
»Ihre Menschenliebe in allen Ehren, aber er wusste genau, was er tat. Er hat die Morde akribisch geplant, und dafürhabe ich keinerlei Verständnis. Auch wenn ich Ihnen zustimmen muss: Etwas ist in seinem Leben falsch gelaufen. Dennoch, er hat willkürlich Leben ausgelöscht und dabei nicht einmal vor seiner Tochter haltgemacht. Wir dürfen nicht immer Entschuldigungen für alles suchen. Wrotzeck wuchs in einem … Nein, lassen wir das, es ist unwichtig.«
»Sie haben recht, manchmal sehe ich die Menschen zu gut, das hält mir auch meine Frau hin und wieder vor. Aber ich bin nun mal so, das liegt vielleicht an meiner Herkunft.«
»Bleiben Sie ruhig so. Ich wünschte, es gäbe mehr von Ihrer Sorte.«
»Danke, es tut gut, das aus Ihrem Mund zu hören. Sie sind aber auch nicht unbedingt ein normaler Polizist, das habe ich gleich beim ersten Mal gespürt.«
»Mag sein. Nochmals danke für die Uhr, und machen Sie’s gut. Wir müssen los.«
Andrea, die in ein Gespräch mit Anna Caffarelli vertieft war, sah auf, als Caffarelli und Brandt aus dem Nebenzimmer kamen.
»Können wir?«, fragte er.
»Alles Gute«, sagte Andrea zum Abschied.
Auf der Rückfahrt meinte sie: »Das ist wirklich eine bemerkenswerte Familie. Das es so was heutzutage noch gibt.«
»Das habe ich Herrn Caffarelli auch gesagt, so ähnlich zumindest. Ausnahmen bestätigen eben die Regel.«
Bei der kriminaltechnischen Untersuchung des Stoßfängers von Wrotzecks Range Rover wurden zahlreicheSpuren gefunden, die von Johannes Köhlers Auto stammten. Bei einer weiteren Durchsuchung des Geräteraums wurde noch ein Stoßfänger entdeckt, auf dem sich Lackreste von Inge Köhlers Opel Corsa befanden. Kurt Wrotzeck war ein zweifacher Mörder – zumindest konnten ihm nur die letzten beiden Morde nachgewiesen werden –, der seine Taten laut Staatsanwaltschaft und Gericht akribisch geplant und durchgeführt hatte.
Der Prozess gegen Liane Wrotzeck fand im Oktober statt und dauerte zwei Tage. Sie wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, weil Elvira Klein ihre Anklage entsprechend formuliert hatte. Und entsprechend war auch die Freude, die dieser Urteilsspruch nicht nur bei Liane Wrotzeck und ihren Kindern auslöste, sondern auch bei vielen andern, die dem Prozess beiwohnten.
Allegra machte eine sechswöchige Reha, in der ihre Muskeln allmählich wieder gestärkt wurden. Im November stieg sie wieder in den Chor ein, und eine Woche vor Weihnachten hatte sie ihren ersten Auftritt nach fast einem Jahr. Brandt, seine Töchter und Andrea waren anwesend und hörten sie zum ersten Mal singen. Und keiner hatte übertrieben, sie sang wie eine Nachtigall. Sie sang so ergreifend, dass selbst Brandt die Tränen nicht unterdrücken konnte.
Lehnert, der gebrochene, in einem fort rauchende und dem Alkohol verfallene Priester, war ebenfalls anwesend. Er wirkte erholter und sein Gesichtsausdruck nicht mehr so verschlossen. Brandt hatte nicht mehr mit ihm gesprochen, worüber auch? Lehnert hatte vielleicht den Teufelgesehen, aber der lag nun unter der Erde und
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