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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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schützen. Tatsächlich fragte er sich das nicht. Er erzählte später – Wie denn dieser Urlaub gewesen sei? –, daß er sich das nach der Rückkehr gefragt habe.
    Wie sie lärmte. Es gibt den Ausdruck fröhlich lärmen, als ob es das gäbe. Er hörte, wie ihre Schritte auf das Parkett schlugen, er hörte das Schlagen von Zimmertüren und Schranktüren, hörte, wie ein harter Wasserstrahl in das Waschbecken schlug, er hörte sogar, wie sie im Nebenzimmer ihren Koffer öffnete, zwei kurze helle Schläge, als die Verschlüsse aufsprangen. Er wird erst wieder zu Hause sein, wenn sie bei der Arbeit ist. Er nahm ein Buch, das auf seinem Schreibtisch lag, hielt es knapp vor sein Gesicht und blies kräftig darauf, um zu sehen, ob Staub aufwirbelte. Kein Staub. Er schlug das Buch irgendwo auf. Der Satz Dummheit, fuhr ich fort, sei ja nichts anderes als blinde Übereinstimmung mit dem äußeren Schein der Welt, und schon wollte er nicht mehr weiterlesen. In seinem Zimmer hing, mit Reißnägeln befestigt, ein großer Stadtplan von São Paulo an der Wand. Er stand davor und betrachtete den Schatten, der auf dem Plan lag, ein schwacher, undeutlich konturierter Schatten. Er mußte den Kopf ein paar Mal schütteln, bis er sicher war, daß es der Schatten seines Kopfes war. Dann spielte er drei Stunden mit seinem Camcorder. Er filmte alle Räume seines kleinen Hauses, mit bedächtigen Schwenks und sorgsam überlegten Zooms, dann den Garten hinter dem Haus, die Orchideen, die Hängematte, die er an zwei Kokospalmen befestigt hatte, am Ende filmte er auch die Straße, in der er wohnte. Er steckte den Camcorder am Fernsehapparat an, betrachtete den Film auf dem Bildschirm, dann überspielte er ihn auf eine Videokassette, die er zu den anderen ins Regal stellte.
6.
    Lieber Romy! Nein, er haßte sie nicht mehr, er hatte es aufgegeben, sie zu hassen, diese Anrede, die seine Mutter sich einfach nicht abgewöhnen konnte, nicht, wenn er sie bat, nicht, wenn er flehte, nicht, wenn er sie beschimpfte, nicht, wenn er vorübergehend mit ihr brach. Mit vierzehn Jahren hatte er es zum ersten Mal versucht, Mama, ich bin doch kein Mädchen, sag doch nicht immer Romy zu mir! Mit sechsundzwanzig Jahren zum letzten Mal, Mein Sohn ein Herr Doktor, ich bin so stolz auf dich, Romy, sag, was wünschst du dir zur Promotion? Nichts, Mama, nur eins: hör bitte endlich auf, mich Romy zu nennen, das klingt so infantil, ich halte das nicht mehr aus! Aber es war aussichtslos, drei oder viermal hatte sie ihn dann Roman gerufen, so, daß allzu deutlich war, daß sie eigentlich Romy hätte sagen wollen, aber gerade noch vor dem y einhielt, gerade noch, aber doch zu spät, man hörte es einfach, Romm-an, das klang vollends blöd, er gab es auf und blieb ihr lieber Romy, jetzt war er fünfunddreißig, und es war belanglos geworden, nach all den Jahren, die er diese Anrede wenigstens nicht mehr hören hatte müssen, sondern nur noch lesen, in den Briefen, die sie ihm schrieb. Briefe, die ihm im Lauf der Zeit immer fremder wurden, nicht mehr Botschaften von zu Hause, sondern aus einer mittlerweile untergegangenen Welt. Berichte von Sorgen und Freuden, die es in dieser Form in seiner Welt nicht gab, pathetische Liebesbezeugungen gegenüber einem Kind, das nicht mehr existierte, Sehnsuchtsdemonstrationen, die er nicht mehr beantworten konnte und die ihm, in ihren sich wiederholenden Formulierungen, schließlich nur noch als Floskeln erschienen, die er irritiert überlas. Es fällt mir sehr schwer, Dir diesen Brief zu schreiben, weil ich mir sehr unsicher bin, wie Du ihn aufnehmen wirst. Wenn sie diese Skrupel doch bei allen ihren Briefen hätte, vielleicht wäre mancher nie fertiggeschrieben oder abgeschickt worden. Zunächst muß ich mich bei Dir entschuldigen, weil ich Dir etwas verschwiegen habe, aber ich will es Dir so gut es geht erklären. Entschuldige dich doch nicht, du bist mir doch in nichts Rechenschaft schuldig, jetzt nicht mehr, verschweige mir alles, alles, das würde mich glücklich machen. Also, was ist es? Ich habe vor einiger Zeit einen Mann kennengelernt, na endlich, mit dem ich mich sehr gut verstehe, von dem ich Dir aber bisher nicht berichtet habe, weil ich Dich nicht mit etwas belasten wollte, von dem ich selbst noch nicht wußte, welche Bedeutung es für mich hat. Belasten! Nur das war der Grund, warum ich bisher geschwiegen habe, das mußt Du mir glauben. Geschwiegen! So viele Worte und Sätze, allein im vergangenen Jahr sicher eine ganze

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