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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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legten auf. Marie sah das Briefsymbol auf dem Display und öffnete die letzte Kurzmitteilung: »B. nicht erhängt. Er war schon tot. Mehr bald, Viktoria.« Marie hinterließ ihre nassen Fußstapfen hüpfend wie ein Frosch auf dem Weg in die Küche. Dort lagen die Pflaster und Verbände in dem neuen Erste-Hilfe-Kasten, den sie immer noch nicht gegen den längst abgelaufenen in ihrem Auto ausgetauscht hatte. Sie ließ das Handtuch, das sie sich um ihr linkes Handgelenk geschlungen hatte, zu Boden gleiten. Dann wickelte sie einen Verband um den blutigen Schnitt.
    Nicos Mutter legte ihre kühle Hand auf seine glühende Stirn.
    Er öffnete die Augen und schaute sie an. Ängstlich wie ein kleiner Junge, aber nicht fiebrig, sondern klar. »Mama.«
    Sie nickte nur, und in ihrem Blick lag so viel Liebe, wie sie nur Mütter in sich tragen können.
    »Mama …«
    Sie nahm seine Hand.
    »Ich war es.«
    Sie drückte seine Hand. »Ich weiß«, sagte sie. »Aber schlaf jetzt, ich kümmere mich um alles.« Nicos Augen fielen zu. Seine Mutter blieb noch ein paar Minuten sitzen, ihre Tränen fielen auf seine Bettdecke. Dann ging sie zum Telefon im Flur. Sie wählte die Nummer der Kriminalpolizei.
    Es dauerte nicht lange und Helmut Fischer, der Leiter der Soko Sarah, stand mit einem jungen Kollegen, den Nicos Mutter nicht kannte, vor ihrer Wohnungstür. Sie öffnete schweigend, nickte den Beamten nur zu und deutete ins Wohnzimmer. Sie zeigte aufs Sofa und ging in die Küche. Auf einem Tablett standen Kaffeetassen, Zuckerschälchen und Milch in einer kleinen Kanne. Sie stellte die Kaffeekanne dazu und trug alles zum Couchtisch.
    Helmut Fischer räusperte sich. »Frau Füller, Sie haben gesagt, Nico hat …«
    Nicos Mutter goss den Kaffee in die Tassen. »Nico schläft. Er hat Fieber, kein richtiges, aber die Stirn ist heiß. Es wäre nett, wenn er erst noch ein bisschen ausruhen könnte. Danach wird er Ihnen sicher erzählen, wie er Sarah … ich meine, wie Sarah ums Leben kam.« Sie setzte sich auf die vordere Kante des Sessels. »Bis dahin möchte ich Ihnen etwas gestehen.«
    Fischer sah sie an. Er wartete einfach.
    »Ich habe Ihnen damals nicht gesagt, dass mein Sohn ohne Jacke und Handschuhe nach Hause gekommen ist – in jener Nacht. Er war völlig durchgefroren; ich habe ihn in die heiße Badewanne gesetzt, ich dachte, er sei einfach unterkühlt. Die Jacke sei ihm geklaut worden, hatte er mir gesagt. Aber als am nächsten Tag die Polizei mit dieser schrecklichen Nachricht vor der Tür stand, war ich mir nicht mehr so sicher, ob Nico da die Wahrheit gesagt hatte.« Sie machte eine kleine Pause. Atmete tief ein und aus. »Doch dann hat die Zeitung ja von diesem seltsamen Brief geschrieben, in dem ein anderer die Tat gestanden hat. Die Reporter vom Express waren sich ganz sicher, dass der Brief nur vom Mörder sein konnte. Und ich weiß, dass Nico eine andere Schrift hat. Ehrlich gesagt, war ich glücklich, dass es diese Ratte gab. Mein Nico konnte es ja auch nicht gewesen sein, dachte ich.« Sie stand noch einmal auf und holte einen fehlenden Löffel. Die Polizisten schauten ihr nach.
    »Doch irgendwas in mir hat wohl geahnt, dass es anders war. Ich habe seit Sarahs Tod keine Nacht mehr ohne Albtraum schlafen können. Und mein Sohn auch nicht. Ich höre ihn weinen, wenn ich wach liege, doch ich kann ihn nicht trösten. Seit einem halben Jahr kann ich ihn nicht trösten.« Sie atmete tief durch, unterdrückte ihre Tränen. »Er hat auch schon vorher manchmal geweint – als Sarah noch lebte. Ich mochte sie nicht. Sie war seltsam und machte ihn nicht glücklich. Wegen ihr hat er geweint, da bin ich sicher. Sie guckte ja auch immer nach anderen Jungs.«
    Sie nahm einen Schluck Kaffee. Dann schaute sie die beiden Männer ihr gegenüber an. »Möchten Sie vielleicht ein paar Plätzchen dazu?«
    Beide schüttelten den Kopf.
    »Ein paar Minuten lassen Sie ihn noch schlafen, oder?«
    Die Beamten schauten sich an. Sie hatten so lange nach der Wahrheit gesucht, jetzt kam es auch nicht mehr darauf an. »Ich nehme ein paar Plätzchen«, sagte Helmut Fischer. Und dann warteten die drei darauf, dass der Junge aufwachte, der Sarah mit einem Stein erschlagen hatte, weil er so unendlich wütend und gekränkt und unglücklich darüber war, dass sie sich in einen anderen verliebt hatte. Sie warteten darauf, dass er ihnen erzählte, wie er Sarah in der Silvesternacht überreden wollte, bei ihm zu bleiben. Er hatte sie angefleht, gebettelt – und

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