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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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Freundeskreis aufbauen können und die Männer, die Männer hätte so ein Kind wie Viktoria auch verschreckt. Sie kannte die Legende in- und auswendig – sie nervte trotzdem noch. Okay, sie war als Kind seltsam ernst gewesen. Selbst wenn sie gekitzelt wurde, hätte sie nur geschrien und nie gelacht, erzählte die Mutter gerne in großer Runde. Doch war das Viktorias Problem? Der letzte Mann im Leben ihrer Mutter wurde ganz alleine von ihr verschreckt. Er hieß Henry, war die Gutmütigkeit in Person und blieb fünf Jahre. Viktoria war vierzehn, als er ging, eigentlich gehen musste. Die Gefühlsschwankungen ihrer Mutter wären für jeden unerträglich gewesen. Immer wenn alles gut zu sein schien, wenn Henry und sie Abende lang gemütlich auf dem Sofa saßen, Scrabble spielten, fernsahen, wenn sie Urlaube planten, wenn alles so war, wie es sein sollte, dann drehte sie durch.
    Beschimpfte ihn, weil er sich beim Scrabble verzählte, zerriss die Reisekataloge, betrank sich. Mediziner würden Tendenzen manisch-depressiven Verhaltens diagnostizieren – das Mädchen nannte es durchgeknallt, überdreht und ätzend. Sie wusste nicht, wie sie es hinbekam, aber Viktoria ertrug die schwankenden Launen ihrer Mutter mit ihrer immer gleich bleibenden schlechten Laune. Mit achtzehn zog sie aus und begann als freie Reporterin beim Express , der Zeitung, die ihre Mutter niemals las, weil sie ihr zu reißerisch, zu kommerziell, zu oberflächlich war. Mit neunzehn volontierte sie, mit einundzwanzig unterschrieb sie einen Redakteursvertrag. Weil sie wenig lachte, galt sie als tough. Weil sie – wenn sie doch lachte – umwerfend aussah, bekam sie viele Informationen. Weil sie lange Beine hatte, galt sie als sexy, und weil sie viel arbeitete, kam sie schnell weiter. Sie gehörte dazu. Wozu auch immer.
    Elisabeth Upphoff hatte noch nie einen Averna getrunken. Sie schlief in der Nacht vor ihrem Hochzeitstag in ihrem blitzblanken, kühlen Schlafzimmer mit Moskito-Netz vor dem Fenster ein. Auf dem Nachttisch lag Die Wanderhure , ein leichtes Lächeln – ihre Zähne waren selbstverständlich geputzt! – zeigte sich auf ihrem Gesicht. Ferdi wird morgen staunen. Die Uhr, damit rechnet er nicht. Und dann das schöne Frühstück …
    Sie rutschte ein wenig näher an den Rücken ihres Mannes, der gleichmäßig atmete.
    Nach dem fünften Averna stieg Viktoria in ein Taxi. »Oranienstraße, beim Amrit«, sagte sie. Zum Glück ersparte der Taxifahrer ihr den sonst immer gleich ablaufenden Dialog.
    »Ah, Amrit. Sie sind aber sicher, Oranienstraße? Das Restaurant gibt’s nämlich auch in der Oranienburger Straße.«
    »Ja, ich bin sicher.«
    »Man kann das nämlich sehr leicht verwechseln. Das ist ja hier so schlimm in Berlin. Alles gibt es doppelt.«
    »Mmmh.«
    Aber hier saß ein guter Taxifahrer am Steuer. Er schwieg, fuhr, fand den Weg und kassierte ohne viele Worte. Dass er zum Abschied noch ein freundliches »Tschüssi!« flötete, war eine Fata Morgana der betrunkenen Viktoria. Denn das passiert nicht im wahren Leben in Berlin. Beim Schlüsselsuchen grinste sie vor sich hin, noch berauscht von den Avernas. Wozu den Aufzug nehmen? Treppe hoch, fünfter Stock. Na und? Sie stieß die Tür auf. Der Anrufbeantworter auf der Flurkommode blinkte. Konstantin?! Sie drückte auf die Starttaste.
    »Ja, guten Tag! Konstantin hier. Jetzt bist du nicht da, Frau Latell. Schade eigentlich. Aber nun gut, dann bis denn …«
    Keine Erklärung! Kein: »Hey, Viktoria, ich konnte dich die letzen zwei Wochen nicht zurückrufen, weil ich mit einer lebensgefährlichen und total ansteckenden Virusinfektion in der Charité liege und die Quarantäne-Vorschriften es mir verboten haben, jemanden zu informieren!« Kein: »Es tut mir leid.«
    Sie musste vom Averna aufstoßen. »Arschloch!«
    Als sie ihre Stiefel – knallrot und sehr teuer – auszog, stolperte sie gegen den Türrahmen und stieß sich den rechten Ellenbogen. »Wichser!«
    »Jetzt bist du nicht da, Frau Latell«, äffte sie den Tonfall von Konstantin nach. Konstantins Masche mit der förmlichen Anrede, sie hatte bei ihr voll funktioniert. Es klang so schön elitär und ironisch, so klug, so überlegen. »Frau Latell, wie sieht es mit Ihrem Zeitfenster aus? Könnten Sie vielleicht morgen Abend?« Natürlich konnte sie. Sie konnte immer, wenn Konstantin anrief. Er merkte nicht, dass sie andere Termine absagte, verschob, sich abhetzte. Es sollte ja lässig aussehen und cool. Sie war ja die großartige

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