Schuhwechsel
kaum etwas Grausligeres als dieses metallene Geklapper auf dem Jakobsweg. Mag sein, dass ihr das von Zuhause aus so gewohnt seid, wenn ihr trainiert und euch ein rhythmisches Stakkato in eine Art Trance versetzt, aber bitte, es gibt Pilger, die haben in vielen Wochen viele 100 km hinter sich gebracht und sind eins mit der Stille und der Natur geworden. Die empfinden diesen Lärm nur nervend, unnatürlich und anstrengend.
Für 2-3 Euro kann man überall am Wegesrand natürlich gewachsene Pilgerstäbe kaufen. Die haben Charakter und Charme und sind so gut wie dieses modische Zeugs. Abgesehen davon sind sie deutlich dekorativer, wenn sie zusammen mit der Jakobsmuschel im Haus oder im Garten stehen und zudem sind sie eine schöne Erinnerung an den Weg.
Ich vermisse meinen Pilgerstab. Der war so schön und ist mir ans Herz gewachsen. Er hat mich so gut durch Matsch und unwegsame Pfade geleitet. Hat mich gestützt und getragen, so wie ich ihn getragen habe. Er hat mir einige Kilometer Extraweg beschert, weil ich ihn oft vergessen hatte und wieder umkehren musste, um ihn zu holen. Aber was machen schon ein paar Kilometer mehr oder weniger auf dem Jakobsweg? Das ist egal. Er war mir ein treuer Begleiter und nun fehlt er mir. Seufz.
Der Pilgerstrom lässt nach. Gerade kommen nicht mehr so viele. Wenn ich mich sofort auf den Weg mache, könnte ich die Leute hier abhängen. Die bekommen nämlich gerade ihr Frühstück und sind erst einmal beschäftigt.
14.57 Uhr
Alles wieder ganz anders. Die Leute konnte ich abhängen und damit wurde meine Laune auch wieder besser. Noch besser wurde sie, als ich in eine moderne Autoraststätte eingekehrt bin, die von allen anderen vorbeiziehenden Pilgern seltsamer Weise gemieden wurde. Hier gibt es nämlich sagenhaft gute Tortillas mit frischen Tomaten und Salat, Zwiebeln und Thunfisch so frisch und so reichhaltig belegt, wie es besser nicht sein könnte. Richtig gutes spanisches Essen ohne Schnickschnack und Firlefanz. Echt oberlecker!
Nach einigen weiteren Kilometern komme ich in Azura an. Es ist Markt und in der Stadt eine Menge los. Ich gehe weiter. Mein linkes Knie beginnt seinen Geist aufzugeben. So langsam tut es echt wirklich heftig weh. Nicht gut. Ich überlege mir schon, ob ich mir einen Platz in der nächsten Herberge sichern soll und meinem Knie eine Pause gönne, aber dann kommt schon wieder so ein herrliches Stück Wald, dass ich einfach das tue, was ich schon seit Tagen tue: ich gehe einfach weiter. Mein Verstand sagt: „Such dir eine Herberge“, meine Beine interessiert das nicht. Sie gehen einfach weiter.
Vor mir läuft ein altes, dürres Mütterlein mit krummen Beinen und vollen Einkaufstaschen in beiden Händen. Ich muss mich beeilen, um sie einzuholen. Als ich auf ihrer Höhe bin, frage ich sie, ob ich ihr beim Tragen ihrer Taschen behilflich sein kann. Wir befinden uns immerhin mitten in einem hügeligen Waldstück. Vermutlich hat sie noch einen weiten Weg vor sich, denn hier wohnt sicherlich niemand.
Alte Menschen faszinieren mich. In ihren Gesichtern zeichnet sich das Leben ab, das sie gelebt haben. Fast alle alten Menschen haben spannende Geschichten zu erzählen. Geschichten, wie sie nur das Leben selbst schreiben kann und die interessieren mich brennend.
Die Senora, die mehr als einen Kopf kleiner ist als ich, dreht sich um und strahlt mich an.
„No no gracias“, sagt sie und zeigt mir ihre wenigen Hauer, die einmal Zähne waren.
„Ich kann das gut selber tragen. Habe auf dem Markt Tomatenpflanzen gekauft. Schau her, wie schön die sind“, sagt sie und öffnet ihren Beutel, damit ich die Tomatenpflanzen bewundern kann. Die Frau sieht von vorne noch älter aus als von hinten. Sie könnte alles zwischen 80 und 120 sein und blickt mich mit ihren sehr klaren, lebendigen Augen an.
„Ich wohne im nächsten Dorf“, erzählt sie, und beginnt mit schnellen Schritten weiterzugehen, „zusammen mit meiner Schwester. Und du? Sei un Perregrino? Woher kommst du?“
„Ja,“ antworte ich und versuche Schritt zu halten. „Ich bin ein Pilger. Auf dem Weg nach Santiago de Compostela und ich komme aus Deutschland.“
„Gott schütze dich und begleite dich auf deinen Wegen“, sie hält inne und küsst mir die Hand, bekreuzigt sich und geht zügig weiter.
Wenn ich einmal so uralt werden sollte wie dieses Mütterlein, würde ich sehr gerne so fit sein wie sie und in einem kleinen Häuschen wohnen. Mitten in einem Laubwald mit eigenem Bach. Gerne auch in Galizien.
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