Schuhwechsel
dieses habe ich nicht eingepackt. Was meine Überzeugung wieder einmal vollkommen bestätigt. Man braucht immer das, was man nicht dabei hat. Von allen meinen 680g an Medikamenten habe ich noch nicht ein einziges Bisschen gebraucht. Nicht einmal ein Blasenpflaster. Nur das, was ich nicht dabei habe, nämlich eine Salbe gegen Gelenkschmerzen, die bräuchte ich jetzt und habe sie nicht dabei. Natürlich.
Die junge Frau ist echt gut drauf und erzählt mir aufgeregt von Senior Lukas und seiner Pension.
„Das ist echt der Hammer dort. Das Haus liegt ganz in der Nähe an einem schönen See, am Ende einer Straße. Dort ist es himmlisch ruhig und seine Frau, die Senora, kann kochen… ich sag dir, der Wahnsinn!“
„Moment mal: hier in der Nähe gibt es einen See? Und eine Pension mit lecker Essen? Wo ist die?“
„So etwa 10 Kilometer entfernt. Der Senior Lukas fährt dich dorthin und morgen setzt er dich wieder hier in der Bar ab und dann kannst du weiterpilgern. Wir waren gestern dort. Es war so lustig und lecker. Mit uns waren noch ein paar spanische Ärzte dort, die ebenfalls gerade auf dem Jakobsweg pilgern und die haben mir mein Knie versorgt und mir erklärt, dass ich ein Pilgerknie habe. Wir hatten so einen wundervollen Abend dort und ich wollte heute überhaupt nicht mehr weg von dort.“ In der Tat, es ist schon halb vier am Nachmittag.
„Kommt ihr gerade jetzt von dort und beginnt erst jetzt mit eurer Tagestour?“, frage ich ungläubig.
„Ja“, sagt sie lachend und voller Begeisterung, „wir werden heute nicht mehr weit gehen und finden schon irgendwo noch ein Bett. Aber das gestern war so traumhaft schön, da solltest du auch hin und deinem Knie einen Tag Pause gönnen. Die haben sogar Liegestühle.“
„Liegestühle?!“
Das ist eines der bezaubernsten Wörter, die ich kenne. Ich liebe Liegestühle, die darauf warten, dass ich mich hineinlege.
„Gibt es dort noch freie Zimmer und wie komme ich dahin?“, jetzt habe ich es eilig.
„Frag doch einfach Senor Lukas, er sitzt hier an der Bar.“
Stimmt. Nämlich genau neben mir. Ich frage Senior Lukas, ob er noch ein freies Zimmer hat, ob er mir dieses vermieten würde und ob er mich dorthin fahren könnte. Nachdem er alles bejaht hat, bedanke ich mich herzlich bei dieser ausgesprochen hilfsbereiten jungen Frau, wünsche ihr und ihrem Freund einen „buon Camino“, packe meine sieben Sachen und dränge Senior Lukas mich zu seiner Pension zu bringen.
Jaja, ich weiß schon: Man soll nicht in die Autos von fremden Männern einsteigen und mit denen irgendwohin fahren. Seinen Töchtern verbietet man so etwas aufs Eindringlichste. Aber ich bin eine mittelalterliche Schrapnelle in leicht transpirierender Pilgerkluft, die auf dem Apostelweg wandelt und vor ihrem inneren Auge nur noch den Liegestuhl in der Sonne sieht. So fahre ich mit Senior Lukas und seinem alten Mercedes in seine Pension am See.
Hier ist es wirklich herrlich. Ein Paradies! Und so still, dass ich zum ersten Mal höre, wie sehr meine Ohren rauschen. Irgendwie scheine ich doch erkältet zu sein. Sonst ist es hier absolut ruhig. Es quaken ein paar Frösche, Vögel zwitschern und die Kühe vom Bauernhof nebenan muhen hin und wieder. Mehr ist hier nicht. Besser ist, ich bleibe hier gleich zwei Tage und lasse mein Knie heilen. Das ist wie Urlaub vor dem großen Zieleinlauf. 30 Kilometer vor Santiago mache ich Urlaub.
Es ist ziemlich egal wann ich dort ankomme, aber bestimmt ist es gut, wenn ich dort erfrischt und ausgeruht ankomme und nicht humpelnd und fix und fertig mit den Nerven.
Ist! Das! Schön! Hier!
Bei mir am Bodensee ist es auch schön, aber dort kocht und putzt niemand für mich. Hier bin ich ganz alleine und mache Urlaub. Keiner stört mich. Das ist klasse.
18.30 Uhr
Entweder habe ich meine Sünden schon alle gebüßt oder Gott liebt mich gerade wieder sehr. Der Apostel Jakob mag ja in Santiago begraben sein, aber der Himmel ist hier! Was habe ich gerade köstlich gespeist!
Zur Vorspeise gab es Pulpo im Teigmantel. Vermutlich eine galizische Spezialität. Dann gab es einen Teller sehr leckeren Salat und dann eine gefüllte Kalbsbrust mit Kohl und dazu selbst gemachte, nicht fettige Pommes! Als Dessert wurde eine Eistorte gereicht. Ebenfalls hausgemacht.
Du lieber Gott, auf der ganzen Pilgerreise hast du mir die allerschönsten Zufälle beschert, du hast für mich gesorgt und mir Menschen geschickt, die mir ihre Seele zeigten. Aber nach all den einfachen Refugios und den
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