Schuldig wer vergisst
abgesetzt, und die Presse hat sich auf ihr nächstes Opfer gestürzt.«
Triona zog eine Braue hoch. »Untergetaucht?«
»Nicht ganz. Zuerst schon – der Bischof hat ihn in ein Kloster geschickt. Zum Nachdenken und zur geistlichen Betreuung. Aber so wie Leo nun mal ist, hatte er es bald satt. Er steht mehr auf Aktion als auf Kontemplation.« Sie lächelte, als sie sein Bild vor ihrem geistigen Auge sah: ein Hüne von einem Mann, ständig auf Achse. »Also ist er freiwillig in die Karibik gegangen. In die Hurrikanhilfe. Als ich das letzte Mal von ihm hörte, war er gerade mit dem Wiederaufbau einer Kirche beschäftigt, die dem Erdboden gleichgemacht war.«
Sie vermisste ihn schrecklich. Er war jahrelang ein fester Bestandteil ihres Lebens gewesen, ein Freund, der immer für sie da gewesen war – mit einem Wort der Aufmunterung oder einer Umarmung. In den schwierigen Jahren ihres Kampfs
um die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe war er ein Fels in der Brandung gewesen. Und auch in jüngster Zeit hatten sie so viel miteinander durchgestanden. Ihre Freundschaft war ein außergewöhnlich starkes Band. Sie dachte daran, wie oft sie sich hier in der Kantine getroffen und über einer Tasse Kaffee geplaudert hatten – ein seltsames Paar in ihrer äußeren Erscheinung: Leo, so riesig und so schwarz, zusammen mit ihr, dem zarten kleinen Rotschopf. Keiner von beiden entsprach dem typischen Bild, das die meisten Menschen mit einem anglikanischen Geistlichen verbinden.
Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Wäre er jetzt hier gewesen, hätte er es gemerkt. ›Frannie, Schätzchen‹, hätte er mit seiner dröhnenden, melodischen Stimme gesagt und sich besorgt über den Tisch gebeugt; ihre kleine weiße Hand wäre unter seiner großen schwarzen verschwunden. »Was ist los mit dir? Du kannst es dem alten Leo sagen.«
Stattdessen saß ihr Triona gegenüber. Und sie war diejenige, der es nicht gut zu gehen schien. Ihre von Natur aus helle Haut wirkte noch bleicher als sonst, und auf ihrer Oberlippe und Stirn lag ein ungesunder feuchter Schleier. Sie schluckte und nippte an ihrem Kaffee. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, und ihre Hand fuhr zum Mund. »Entschuldige«, sagte sie schwach hinter vorgehaltener Hand und sprang auf. »Bin gleich wieder da.« Ihr Kopf fuhr herum. »Wo ist das Klo?«
Frances war ebenfalls auf den Beinen. »Hier lang«, sagte sie und ließ ihr Frühstück stehen, um Triona zur Damentoilette zu führen.
»Tut mir leid, du brauchst nicht …«
Frances wartete bei den Waschbecken und hörte unmissverständlich, wie Triona sich übergab. Und zwar so heftig, dass es ihr den ganzen Magen umzudrehen schien. Sie erinnerte sich genau an das Gefühl und wusste instinktiv, was mit ihrer Freundin nicht stimmte.
Nach einiger Zeit kam Triona aus der Kabine. Sie sah vollkommen elend aus und schaute sie verlegen an. »Tut mir leid«, murmelte sie. »Ich wollte dir dein Frühstück nicht verderben.«
Frances stand mit einem feuchten Papierhandtuch bereit, um Triona das Gesicht abzuwischen. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Du kannst ja nichts dafür.«
»Ich glaube, es war der Speckgeruch. Und ich hätte den Kaffee nicht trinken sollen.«
»Wahrscheinlich. Als ich mit Heather schwanger war, musste ich um Kaffee auch einen großen Bogen machen.«
Triona schluckte schwer und wandte den Blick ab. »Dann weißt du ja Bescheid«, sagte sie ausdruckslos.
»Wenn man selbst mal schwanger war, ist das wirklich nicht schwer zu erraten. Morgendliche Übelkeit ist scheußlich.« Frances war kleiner als Triona und konnte daher der anderen Frau nicht den Arm um die Schulter legen, stattdessen streichelte sie ihr den Arm. »Möchtest du drüber reden?«, schlug sie vor.
»Nein.« Triona schluckte wieder. »Doch, aber nicht hier. Und nicht im Café.«
»Keine Essensgerüche«, bestätigte Frances. Sie arbeitete schon seit Jahren im Krankenhaus und kannte dort jeden Winkel. Es gab ein paar Sprechzimmer, in die sich Ärzte mit Angehörigen von Patienten zurückzogen, um ihnen schlechte Nachrichten hinter verschlossener Tür mitzuteilen, und eins davon war ganz in der Nähe. Sie führte Triona dorthin und dirigierte sie zu einem Sessel, dann zog sie sich selbst einen Stuhl heran, sodass sie seitlich von ihr saß. Manchmal war es leichter, etwas Schwieriges zu sagen, wenn man dem anderen nicht direkt ins Gesicht zu sehen brauchte.
»Es hat erst vor ein paar Tagen angefangen, vielleicht vor einer Woche«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher