Schuldig wer vergisst
Fenster. »Ich werde dieses
Baby bekommen. Ohne den verdammten Neville Stewart. Und wenn ich Glück hab, wird er es nie erfahren.«
Detective Inspector Stewart langweilte sich. Es schien Wochen her, dass er zuletzt einen anständigen Fall zwischen die Zähne bekommen hatte. Autodiebstahl, Straßenraub, Einbruch, Kleinkriminalität im Drogenmilieu: alles zu öde, um auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Nur selten bekamen sie die Täter zu fassen, und wenn es ihnen doch einmal gelang, dann machte das kaum einen Unterschied – die Gauner waren wieder auf der Straße, bevor man das Wort ›Staatsanwalt‹ auch nur ausgesprochen hatte. Was er jetzt gebraucht hätte, wäre ein anständiger Mord. Etwas, das ihn auf Hochtouren laufen lassen und seine grauen Zellen wieder in Schwung bringen würde. Etwas, das seine langen, einsamen Abende füllte.
Die Schreibtischarbeit brachte ihn schier um den Verstand. Jedes noch so kleine Verbrechen zog einen Haufen Papierkram nach sich. Aber er war schließlich nicht zur Polizei gegangen, um den Kugelschreiber zu schwingen.
Mit Abscheu betrachtete er seinen übervollen Eingangskorb und wünschte sich beim Anblick des unaufhörlichen Regens vor der Scheibe einmal wieder, er hätte das Rauchen nicht aufgegeben. Neville schob den Stuhl vom Tisch zurück und machte sich auf die Suche nach Kaffee.
Im Flur vor seinem Büro lief er Sergeant Sid Cowley über den Weg, der in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Cowley trug Mantel und Schirm.
»Hey, Sid. Was gibt’s?«
Cowley schwieg einen Moment. »Hi, Chef. Bin gerade zu’nem Fall unterwegs.«
»Irgendwas Interessantes?«
»Wahrscheinlich nicht.« Cowley zuckte die Achseln. »Vermisste Person. Kerl geht joggen, kommt nicht nach Hause.
Frau gerät in Panik.« Er zuckte wieder die Achseln. »Ist vermutlich nur irgendwo untergekrochen, wo’s trocken ist. Bis ich da bin, hat er’s sich längst zu Hause gemütlich gemacht und nimmt’ne heiße Dusche, nachdem er sich die Gardinenpredigt von seiner Alten angehört hat.«
Neville traf eine spontane Entscheidung. »Warten Sie einen Moment, Sid. Ich komme mit. Hole nur schnell meinen Mantel.«
»Das ist wirklich kein Fall für einen Detective Inspector.«
»Sie wollen nur nicht, dass ich Ihnen im Weg bin, was, Sid?« Neville schlug dem Sergeant auf die Schulter. »Nur für den Fall, dass die Ehefrau … zum Anbeißen ist? Oder verzweifelt?«
»Verziehen Sie sich«, brummte Cowley. »Alles, was recht ist, Chef.«
Muss wohl einen Nerv getroffen haben, dachte Neville selbstzufrieden und schnappte sich seinen Regenmantel. Er konnte in Sid Cowley lesen wie in einem offenen Buch, wenn es um Frauen ging.
Dieser Fall war vielleicht nichts Aufregendes. Er hatte sich vielleicht sogar schon erledigt, bevor sie überhaupt angekommen waren. Aber wenigstens brachte er ihn aus dem verdammten Revier heraus.
DREI
Diese Frau war zum Anbeißen. Sie war jung, sie war sehr hübsch, sie war blond, und wenn Neville sich nicht irrte, war das ihre natürliche Haarfarbe und keine aus der Tube: ein sattes Weizenblond, das nur sehr schwer künstlich herzustellen ist.
Außerdem war sie sehr schwanger.
Das allerdings dürfte Sid Cowley einen entscheidenden Dämpfer verpasst haben.
Und sie stand kurz vor einem hysterischen Ausbruch.
»Trevor verspätet sich nie«, sagte sie und führte sie ins Wohnzimmer im Erdgeschoss der stattlichen viktorianischen Doppelhaushälfte. »Ich sage immer, man kann seine Uhr nach Trevor stellen. Ich ziehe ihn manchmal damit auf.«
Er würde die Sache Sid überlassen, beschloss Neville; immerhin war es sein Fall. Cowley zog sein Notizbuch hervor. »Dann fangen wir mal von vorne an, Mrs … eh …«
»Norton. Rachel Norton.« Sie legte die Arme um ihren enormen Bauch.
Das Wohnzimmer war sauber, fast steril; es wirkte wie ein selten benutzter Raum. Die dreiteilige Sofagarnitur passte perfekt in das Ambiente, als sei sie speziell dafür angeschafft, und sah aus, als hätte nie jemand darauf gesessen.
Da dies kein geselliger Besuch war, wurde ihnen auch kein Kaffee angeboten. Rachel Norton bedeutete den beiden Polizisten mit einer höflichen Geste, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
Cowley schaute auf die Notizen, die er sich zuvor am Telefon gemacht hatte. »Also, Mrs Norton. Sie sagen, Ihr Mann, Mr Trevor Norton, ist um sieben Uhr joggen gegangen.«
»Wie immer. Jeden Tag. Ob’s regnet oder die Sonne scheint.« An diesem Tag tat es eindeutig Ersteres: Der Regen
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