Schule der Lüfte wolkenreiter1
der Fürst überhaupt zu sprechen ist«, meinte Philippa müde. »Aber ich muss es versuchen. Und zwar gleich.«
»Du solltest lieber bis morgen warten.«
Ein Schmerz fuhr durch Philippas Nacken. Sie zuckte zusammen und rieb mit der Hand über die Stelle. »Meinst du, Irina könnte noch einmal meine Klasse übernehmen?«
»Ich rede mit ihr.« Margret erhob sich, stützte sich auf dem Schreibtisch ab und beugte sich vor, um die Lampe zu löschen. Ihr Blick war verhangen, und ihre Lider wirkten zu schwer, als dass sie sie hätte heben können.
Philippa beugte sich vor. »Ist alles in Ordnung, Margret?«
Die Leiterin nickte. »Ich bin nur müde. Sehr müde.« Sie stemmte eine Faust in den Rücken und streckte sich. »Und alt«, fügte sie augenzwinkernd hinzu.
»Unsinn. Du bist doch nicht alt«, widersprach Philippa.
Während sie zur Tür ging, warf Margret ihr einen vielsagenden Blick zu: »Ab dem Tag, an dem sie ihr Reittier verliert, fühlt sich jede Pferdemeisterin alt, Philippa. Davor ist keine von uns gefeit.«
Philippa eilte voraus, um ihr die Tür zu öffnen, und versuchte die Angst zu ignorieren, die von ihrem Bauch aus langsam in ihrem Körper hinaufkroch. Margret war die engste Freundin, die sie an der Akademie hatte. Eigentlich hatte es nur zwei echte Freundinnen in ihrem Leben gegeben.
»Leg dich schlafen, Margret«, sagte sie ruhig. »Bitte. Ich kann selbst mit Irina sprechen.«
Margret nickte. »Danke. Das nehme ich gern an.« Sie ging auf die Treppe zu, blieb jedoch auf der ersten Stufe
stehen. Sie wandte sich um; das Licht der Lampen betonte ihre eingefallenen Wangen und warf Schatten auf ihren faltigen Hals. »Philippa … bestehe darauf, unter vier Augen mit Friedrich zu sprechen.«
»Ich tue mein Bestes.«
Margret schüttelte energisch den Kopf, und in ihrer Stimme schwang eine Spur ihrer früheren Leidenschaft mit. »Das ist nicht genug, Philippa. Es darf niemand zuhören, wenn du von diesem Fohlen sprichst. Ganz besonders nicht im Palast.«
»Ich weiß.«
Margret nickte ihr noch einmal zu. Philippa erschrak, als sie beobachtete, wie langsam sie die Treppe hinaufschlich. Margret Morghen hatte fast dreißig Jahre lang einen Hengst aus der Blutlinie der Kämpfer geflogen, den Himmelsstürmer des Fürsten, und man sah deutlich die Narben, die sie aus dieser Zeit davongetragen hatte. Seit zwei Jahrzehnten war sie Leiterin der Flugakademie. Sie hatte sich ihre Pension mehr als verdient, eine Villa in der Weißen Stadt, oder sollte sich auf dem Anwesen ihrer Familie zur Ruhe setzen. Doch Philippa graute davor, ihre Freundin zu verlieren.
Als sie zum Wohnhaus zurückging, war ihr Gang kaum leichter als der von Margret.
Gerade war der kleine, blasse Wintermond am Himmel aufgegangen. Sie verharrte einen Augenblick auf dem Kopfsteinpflaster des Innenhofs und betrachtete die strahlend weißen Mauern der Ställe und die akkurat geschnittenen Hecken, die die Start- und Landekoppeln umrahmten. Wie anders hatte es auf dem gemütlichen Hof im Hochland ausgesehen! Sie dachte an den wilden Ausdruck in den Augen von Broh Hammloh, als sie über die Zukunft seiner
Schwester gesprochen hatten. Dabei wurde sie erneut von Gefühlen übermannt, die noch weniger ehrenhaft waren als zuvor und die ihr das Herz schwer machten.
»Dumme Gans«, verfluchte sie sich selbst. Sie wandte sich nach rechts und schritt über den Hof zum Wohnhaus. Dort eilte sie die Treppe hinauf und stieß die Doppeltür auf.
Die Hausdame hatte offensichtlich in der Eingangshalle auf sie gewartet. Sie deutete einen leichten Knicks an und nahm Philippa ihre Sachen ab. »Sie kommen spät, Meisterin Winter! Ich habe mir schon ein bisschen Sorgen gemacht.«
»Unsinn«, sagte Philippa abwesend. »Das ist überflüssig. Wissen Sie, wo ich Irina finden kann?«
Die Hausdame deutete auf den Lesesaal. Hier brannte ein Feuer im Ofen, und die Lampen tauchten den Raum in warmes, gelbes Licht. Bequeme Sessel waren so platziert, dass die Pferdemeisterinnen ganz nach Belieben allein sein und lesen oder mit anderen Damen Konversation betreiben konnten. Ein paar Frauen saßen vor dem Feuer und unterhielten sich leise, andere waren mit Schreibarbeiten beschäftigt. Irina Stark, eine hochgewachsene Frau mit breiten Schultern, die eine klassische Kämpferstute ritt, saß mit lang ausgestreckten Beinen auf einem Fensterplatz und hatte es sich mit einem Haufen Kissen im Rücken und einem Buch auf dem Schoß bequem gemacht. Philippa wollte gerade zu ihr
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