Schule der Lüfte wolkenreiter1
ihrer Mutter hinlänglich Bekanntschaft mit dem Tod gemacht. Deshalb wusste sie, was es bedeutete, als die Augen der Stute langsam trübe wurden, sie einen letzten rasselnden
Atemzug von sich gab, der fast erleichtert klang, bevor ihr Blick brach.
Lark, selbst fast noch ein Kind, drückte das mutterlose Hengstfohlen an ihre Brust und weinte. Jetzt gab sie sich dem Kummer hin, der Erschöpfung und dem Schock, und schluchzte hemmungslos.
Das Fohlen in ihren Armen begann zu wimmern und zu zappeln und erinnerte sie daran, wie kalt es in der Morgendämmerung war. Ihre nasse Kleidung fühlte sich eisig an und auch das Fohlen war nass und kalt. Sie musste es trocken reiben.
Als ihr klar gewesen war, dass Chars Niederkunft bevorstand, hatte sie einen Stapel alter Handtücher in die Scheune gebracht. Jetzt nahm sie eines und rieb vorsichtig Kopf und Hals des Fohlens ab. Das rappelte sich mühsam auf die langen Beine auf, lehnte sich zitternd vor Schwäche an sie und blickte sie aus großen Augen an. Mit einer Hand stützte Lark es, mit der anderen rieb sie über Widerrist und Rückgrat, um die letzten Reste der Fruchtblase zu entfernen.
Lark spürte, wie die ersten Strahlen der Sonne durch das Fenster auf ihre Wangen schienen. Sie glitzerten auf den gefrorenen Gräsern auf dem nördlichen Weideland, schimmerten im Süden auf den Brachäckern, fielen auf das Schieferdach des Wohnhauses und ließen die letzten Schneereste silbern funkeln. Und sie erhellten auch allmählich das Innere des Stalls. In ihrem Licht konnte Lark erkennen, dass das Hengstfohlen so schwarz war wie die Steine des Hochlandes, denen der Fluss seinen Namen verdankte.
Sie fuhr mit dem Handtuch über die Rippen des Füllens, über seinen Rücken, und hielt plötzlich inne, als sie unter dem Handtuch etwas Festes spürte, das ihr Widerstand leistete.
Das Fohlen wimmerte erneut; es klang fast wie ein Schluchzen. Vorsichtig schob Lark das Tier ein Stück von sich weg, um zu sehen, was da unter dem Widerrist direkt hinter den Schultern wuchs.
Was sie sah, erfüllte sie mit Ehrfurcht.
Ein solches Lebewesen gehörte allein dem Fürsten, das wusste jeder. Oc war ein winziges, von Feinden umringtes Fürstentum, das nur wenige Reichtümer besaß. Seine raue Küste lag ungeschützt da, offen für die Handelswege, die von anderen, größeren Fürstentümern beansprucht wurden. Lebewesen wie dieses Fohlen waren eine besondere Gabe der Göttin Kalla und das wertvollste Gut, das Oc besaß. Ob Fürst, Prinz oder König, sie alle neideten Oc seine geflügelten Pferde. An der Blutlinie dieser Pferde herum zupfuschen kam Hochverrat gleich. Hätte einer aus ihrer Familie das bemerkt …
Aber das hatten sie natürlich nicht, wie auch? Keiner hatte geahnt, dass die kleine Char ein solches Wunder in sich trug. Die Geburt eines solchen Wesens auf dem Unteren Hof war ein derart gewichtiges Ereignis, dass Lark es kaum fassen konnte.
Mit zitternden Fingern streichelte sie den schmalen Kopf des Hengstfohlens, drückte ihn an sich und schlang vorsichtig die Arme um seinen zierlichen Hals.
»Bei Zitos Ohren, mein Kleiner!«, hauchte sie. »Du hast ja Flügel!«
Kapitel 1
I m Fürstentum Oc zeigte sich der Frühling nur selten mil de. Heute jedoch lockte er zaghaft mit dem Finger und verführte jede Knospe und jeden Halm, sich zu öffnen, überflutete Weiden und Wälder sowie die grasbedeckten Deiche mit hellem Licht. Die Brachäcker warteten auf den ersten Spatenstich. In der Nacht aber ballte der Frühling die Faust, gab sich streng und kühl. Dann funkelten die Sterne wie glitzerndes Eis, und die Gipfel im Nordwesten der Ocmarine hoben sich gespenstisch weiß vor dem schwarzen Himmel ab. Die letzten Winterstürme ließen die Pfützen auf der Koppel der Himmelsakademie ebenso wie die Fenster des Schlafsaals gefrieren. Der Nachtfrost schimmerte noch an den Fenstern, als Philippa Winter aus der Eingangshalle trat.
Die Leiterin der Akademie begleitete sie bis zur Treppe und schlang in der eisigen Kälte die Arme um den zierlichen Körper. Ihr Haar schimmerte silbern in der frühen Morgensonne, und als sie in die helle Sonne blinzelte, legte sich die Haut um ihre Augen in tausend kleine Fältchen. »Nutze deinen Verstand, Philippa. Du wirst schon noch rechtzeitig ankommen.«
Philippa setzte ihre Schirmmütze auf und knöpfte den Reitmantel bis oben hin zu. »Ich werde mein Bestes geben, Margret. So oder so werde ich vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein.«
Margret
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