Schule der Lüfte wolkenreiter1
Margret auf dem Schreibtisch, darauf ruhte ordentlich ihr Stift. Neben ihrem linken Ellbogen wartete ein Stapel schmaler, marmorierter Bände darauf, dass sie ihnen ebenfalls ihre Aufmerksamkeit widmete. Ein ganz ähnlicher Band befand sich gerade auf Philippas eigenem Schreibtisch; es war ein halbfertiger Semesterbericht, in dem sie die Reiterinnen und die Pferde ihrer Flugklasse beurteilen musste.
Neben Margrets anderem Ellbogen lag ein riesiger, in schwarzes Leder gebundener Wälzer mit einem Prägedruck aus goldenen Lettern. Mehrmals legte sie unbewusst die Hand darauf. Es war eine Genealogie, eine Chronik einer der drei Blutlinien der geflügelten Pferde. Lediglich dem Zuchtmeister und der Leiterin der Akademie war es gestattet, etwas in dieses Buch einzutragen.
Philippa rieb sich die Augen. Ihre Hände waren noch kalt von dem Flug, deshalb hielt sie sie vor das wärmende Feuer. »Ich glaube, du hast Recht, Margret. Ich habe dieses erste Gefühl ganz vergessen, diese … Besessenheit.«
»Es ist, als verliebe man sich«, meinte Margret.
Philippa rieb die Hände aneinander, die kribbelten, als sie langsam warm wurden. »Gott bewahre! In meiner Erinnerung war es wesentlich einfacher als das. Kannst du dich denn noch daran erinnern?«
»Es ist lange her, Philippa, aber meine Bindung war eine so intensive Erfahrung, dass ich sie nicht vergessen habe. Und das solltest du übrigens auch nicht.«
Philippa seufzte. »Ich weiß, es klingt harsch. Aber sie ist vollkommen ungeeignet, Margret. Erstens ist sie zu jung, und zweitens redet sie wie eine Stallhelferin. Sie hat die schlechtesten Manieren, die ich jemals bei einem Mädchen gesehen habe! Und dreckig ist sie. Sie hat im Stall bei dem Fohlen geschlafen!«
»Wie konnte so etwas passieren? Wieso hat uns niemand informiert?«
»Der örtliche Vogt ist ein tatteriger alter Narr. Bei Kallas Zähnen, wieso beschäftigen wir solche Leute überhaupt? Kann man sie nicht woanders verwenden?« Verärgert stampfte sie mit der Hacke auf den Boden und sah Margret an, die hinter ihrer Hand ein Schmunzeln verbarg. »Ja, lach du nur, Margret. Du warst schließlich nicht dabei. Ich habe die Hammlohs – so heißt diese Familie – zusammengerufen und sofort Kontakt zu diesem Meister Mickelwitt aufgenommen, aber statt persönlich die Pferdemeisterin von Park Dikkers zu holen, schickt dieser unfähige Trottel einen Brief mit der Postkutsche los. Diese Kutsche hält in jedem Dorf zwischen Oscham und Willakhiep, so dass der Brief vier Tage unterwegs war! Und nun ist es passiert; das Fohlen hat seine Prägung erhalten, es gibt kein Zurück mehr.«
»Erzähl mir mehr von dem Fohlen.« Margret tippte mit den Fingerspitzen auf die Prägung der Genealogie.
»Das ist noch viel schlimmer.«
Margret legte den Kopf auf die Seite und wartete. Sie trug ihr Haar immer noch in Reitermanier zu einem Knoten gebunden, obwohl es bereits Jahre her war, dass sie und ihr Himmelsstürmer im Auftrag des Fürsten vor der Küste patrouilliert hatten. Nur die gebräunte Haut ihres faltigen Gesichts kündete noch von den vielen Flügen.
Philippa seufzte. »Das Fohlen ist hübsch, aber es ist nicht reinrassig, was dir auch sofort auffallen wird. Es ist schwarz, was auf einen Noblen schließen lässt, aber dafür ist es zu klein. Seine Beine sind dünn wie Zahnstocher. Aufgrund seines kurzen Rückens könnte man denken, er wäre ein Ocmarin, aber seine Kruppe ist zu flach.«
»Das kannst du nicht beurteilen, Philippa. Mein eigener Himmelsstürmer hatte eine Kruppe so flach wie eine Tischplatte. Und das Fohlen ist wie alt – eine Woche? Dann haben sich ja noch nicht einmal seine Flügel geöffnet.«
Philippa zuckte mit den Schultern. »Das stimmt natürlich. Eduard wird es beurteilen müssen.«
»Wir können morgen mit ihm sprechen.«
Philippa runzelte die Stirn. »Margret … Vielleicht sollten wir noch warten. Irgendetwas geht hier vor, und mir ist gar nicht wohl dabei. Wie konnte ein solches Fohlen entstehen? Und wieso sollte das Muttertier allein und verloren im Hochland herumlaufen?«
»Geflügelte Pferde sind schon früher unerwartet aufgetaucht«, erklärte Margret. »Allerdings ist das schon sehr lange her.«
»Vor mehr als einem Jahrhundert!«
Die Leiterin nickte. »Vor mindestens zwei. Und ich muss nach einer Erklärung suchen, die möglichst nicht alle in Aufruhr versetzt.«
»Selbst wenn es um so etwas Gravierendes wie eine Verletzung der Zuchtvorschriften ginge, weiß ich nicht, ob
Weitere Kostenlose Bücher