Schule für höhere Töchter
beleidigen. Seien Sie mir nicht böse, aber wenn es mir gelingt, durch die nächsten zwei Monate zu stolpern, ohne geradewegs in den Generationenabgrund zwischen Angelica und ihrem Großvater zu stürzen, werde ich wie die Araber mein Zelt abbrechen und mich ebenso leise davonstehlen.«
Diejenige, die in diesen speziellen Generationenabgrund stürzte, war aber nicht Kate, sondern Angelicas Mutter. Man fand ihre Leiche am nächsten Morgen im Theban, und das Geheimnis der Hunde war kein Geheimnis mehr, sondern Thema für das ganze Land.
Das Theban war schon wegen Kriegen, Protesten gegen Kriege, Wirbelstürmen, Streiks und Stromausfall geschlossen worden. Nun schloß es wegen polizeilicher Ermittlungen.
Kapitel Sieben
»W ir hoffen, übermorgen wieder öffnen zu können«, sagte Julia. »Aber, du lieber Himmel, was für ein Durcheinander. Warum konnte sich diese schreckliche Frau nicht woanders zu Tode erschrecken? Sie gehörte zu diesen von Phobien geplagten Typen und hatte vor allem Angst – vor Flugzeugen, schnellen Autos, Gewittern. Sie hätte wenigstens den Anstand besitzen können, irgendwo auf einem Highway vor Schreck tot umzufallen.«
»Ich vermute, Anstand war nicht ihre starke Seite.«
»Sie kannte nicht einmal die Bedeutung des Wortes. Arme Kinder«, fügte Julia hinzu. Ob sie das auf die Schülerinnen des Theban im allgemeinen bezog oder auf Angelica und ihren Bruder Patrick im besonderen, wußte Kate nicht; es schien auch nicht so wichtig.
»Natürlich«, fuhr Julia fort, »ist Mr. O’Hara wütend. Er hat das Gefühl, die Integrität seiner Hunde würde in Zweifel gezogen.«
»Warum das, um alles auf der Welt?«
»Sie haben sie nicht bemerkt. Vielleicht, weil sie sie nicht als Eindringling im eigentlichen Sinne empfunden haben. Gestern war Elternabend – das heißt, die Hunde haben ihre Runde erst begonnen, nachdem alle Eltern gegangen waren. Dann zogen die Hunde offensichtlich los und setzten ihre niedlichen kleinen Pranken auf die dafür vorgesehenen Stellen. Er sagt, die Leiche wäre heute morgen dort hingeschafft worden, nachdem die Hunde wieder auf dem Dach waren.«
»Kann man nicht feststellen, wann die Leiche dort abgelegt wurde oder ob überhaupt?«
»Geht das? Vielleicht weiß Reed sowas. Wir werden ihn fragen; das gibt uns einen Grund, hinaufzugehen und uns ein wenig umzusehen. Ich weiß nicht, wie viele Treffer dieser Art Miss Tyringham noch einstecken kann«, sagte Julia in der Mundart ihrer Kindheit, die sich in der Hauptsache aus veralteten Redewendungen zusammensetzte. »Sie denkt immer häufiger an dieses Cottage in England. Das sieht man ihr an.«
Trübsinnig gingen sie die Treppe hinauf – eine Treppe, die gewöhnlich zu dieser Zeit voll rennender, lachender und kreischender Mädchen war. Im Theban herrschte Schweigegebot in den Aufzügen, aber man hatte schon vor langer Zeit die Vergeblichkeit eines Schweigegebotes auf den Treppen eingesehen. Wo Schuldisziplin Erfolg hatte, war sie ein seltsamer Balanceakt, und wenn man Glück hatte oder klug war, hielten Gebote und Freiheiten sich die Waage. Gerade wegen des Lärms, der normalerweise auf den Treppen herrschte, dachte Kate, mußte es besonders unheimlich sein, sie in der nächtlichen Leere hinaufzusteigen – man befände sich einfach in einem Zustand stark erhöhter Angst, auch ohne dem Hund von Baskerville samt Freund zu begegnen. Aber warum, um Himmels willen, war die Frau überhaupt hergekommen – um zu sehen, wo sich ihr Sohn versteckt hatte? Solche Expeditionen machte man wohl kaum mitten in der Nacht. Außerdem, gehörte sie zu dem Frauentyp, der so ein Versteck untersuchen würde? Nach Julias Bericht hätte sie schon beim bloßen Gedanken daran fünfzehn Phobien entwickelt.
Angenommen, sie wäre nicht allein gekommen, wäre unter falschen Voraussetzungen veranlaßt, verlockt oder gezwungen worden – hätte es der anderen Person gelingen können, zwischen zwei Runden der Hunde zu kommen und wieder zu verschwinden? Zugegeben, eine etwas weit hergeholte Möglichkeit. Kate machte sich klar, daß ohne die wenigen Fakten, die die Polizei hatte, alle Spekulationen verrückt waren. Vielleicht aber verständlich, weil Kate sich damit von den Bildern des verängstigten Jungen und der verängstigten Frau ablenken konnte.
Kate traf Reed an der Tür zu dem Raum im dritten Stock. Er redete mit jemandem, zweifellos einem Kriminalbeamten. Kate warf schnell einen Blick in den Raum, konnte aber nichts sehen. »Sie ist schon
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