Schule für höhere Töchter
Unrecht war?«
»Am Ende des Stückes weiß er, daß er unrecht hatte. Aber ich glaube, nur in Theaterstücken ändern alte Männer ihre Meinung.«
»Die Jungen haben also immer recht?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber ich glaube, daß sie heute, was diesen Krieg angeht, nicht unrecht haben.«
»Gut. Sie sind ehrlich gewesen. Meine Enkel schreien mich an. Finden Sie es richtig, daß sie einen alten Mann, ihren Großvater, anschreien?«
»Ich halte das für ein riesiges Kompliment. Es zeigt, daß ihnen Ihre Meinung wichtig genug ist, um mit Ihnen zu diskutieren und sie ändern zu wollen. Ich finde, Sie sollten das als Ehre ansehen.«
»Das ist keine Ehre. Man ehrt das Alter, indem man es respektvoll behandelt.«
»Nun ja«, sagte Kate, »noch ein Punkt, in dem wir nicht einer Meinung sind. Ich meine nicht Umgangsformen im Sinne von guten Manieren. Ich meine den Austausch von Gedanken, den Ausdruck von Gefühlen. Es tut mir leid. Ich konnte Ihnen keine Unterstützung bieten, ich weiß, aber ich habe keinen billigen Trost anbieten wollen. Das wäre leichter gewesen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Schauen Sie«, sagte Kate, »mal angenommen, Sie hätten um dieses Stück Fleisch gebeten. Mal angenommen, Sie hätten es gegessen, Ihren Hunger zugegeben, anstatt sich daran zu erinnern, wie das Fleisch im Staub lag. Wäre das so viel schlimmer gewesen?«
Zu Kates Überraschung schüttelte der alte Mann den Kopf und schaute weg. Wieder sah sie Tränen. »Es tut mir leid«, sagte sie und stand auf. »Ich werde Sie jetzt allein lassen.«
»Nein«, sagte er und erhob sich. »Gehen Sie nicht fort. Ich sollte mich nicht aufregen, nicht so emotional reagieren.«
»Also, auch in diesem Punkt bin ich nicht Ihrer Meinung«, sagte Kate. »Ich finde, Sie sollten sich aufregen, wenn es einen Grund dafür gibt. Schließlich sind wir Menschen, wie könnten wir sonst andere lieben?« Sie streckte dem alten Mann die Hand hin. »Auf Wiedersehen, Mr. Jablon. Wenn Ihnen eine ehrliche Auseinandersetzung nichts ausmacht, kommen Sie und besuchen Sie mich.« Als Kate das Zimmer verließ, wurde ihr bewußt, daß sie es ernst gemeint hatte.
»Das ist alles schön und gut«, sagte Kate später zu Miss Tyringham, »aber ich hatte gar nicht vor, so wichtig zu werden. Hätten Sie doch nur einen Altphilologen genommen! Der hätte etwas über Stichomythie von sich gegeben.«
»Arme Kate. Und nun hat Mr. Jablon dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt. Natürlich sind Sie nicht so empörte Eltern gewöhnt wie ich; und die Tatsache, daß man in vielen Punkten ihrer Meinung ist, macht es auch nicht gerade einfacher.«
»Genau das ist es«, sagte Kate. »Nichts ist so unbequem wie Verständnis für beide Seiten eines Problems. Das ist Ihre Antigone: auf beiden Seiten berechtigte Forderungen, die aber im Widerspruch zueinander stehen. An Mr. Jablons Situation ist so bedrückend, daß er ein Recht dazu hat, konservativ zu sein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er hat verdammt hart für alles gearbeitet, und er ist dankbar dafür, die Chance gehabt zu haben.«
»Und nun möchte er, daß alles sanft und reibungslos geht. Oh, das habe ich oft erlebt. Eltern begreifen so selten, daß Liebe harte Arbeit ist. Die sexuelle wie auch andere Formen der Liebe. Eines muß man dieser Generation lassen: Sie gibt zu, daß es diese anderen Formen gibt. Verdammt noch mal. Ich muß nur an meine Tagträume denken, dann weiß ich, daß wir hier am Theban ernste Probleme haben. Wenn ich anfange, mit dem Gedanken an ein Cottage in England zu spielen, wo ich im Garten werkeln und mit drei anderen verlorenen Seelen in einem Streichquartett fideln kann, weiß ich, daß die Dinge ernstlich aus dem Lot geraten sind.«
»Träumen Sie, soviel Sie wollen. Sowie Sie sich irgendwo zur Ruhe gesetzt haben, entsteht nebenan eine Riesenbaustelle oder ein Kraftwerk. Das habe ich schon oft erlebt.«
»Noch laufe ich nicht davon. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie mit Mr. Jablon gesprochen haben; sonst wäre es natürlich an mir hängengeblieben. Soweit ich sehen kann, ist hier jeder sehr beeindruckt von Ihnen. Haben Sie nie daran gedacht, in irgendeiner Form fest am Theban zu arbeiten?«
»Wissen Sie, was Dickens geantwortet hat, als man ihn bat, für das Parlament zu kandidieren? ›Ich wüßte keinen Grund, weshalb ich Mitglied dieser außerordentlichen Versammlung werden sollte.‹ Sehen Sie, das ist das Gute an Zitaten: Man kann die Worte eines anderen benutzen, um zu
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