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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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umgehen, aber aus gewissen Gründen…«
    Kate sah auf die Geschwister hinunter, die sie beide mit einem unfreundlichen Blick beobachteten, in dem sich Mißtrauen, Neugier und Verachtung mischten. Sie fühlte sich an Miss Tyringhams Ethik-Unterricht und die Ergebnisse der Fragebögen erinnert. Es ist ganz offensichtlich, sagte sich Kate, daß ich nichts richtig machen kann, aber man kann mir wenigstens keine Heuchelei vorwerfen.
    »Mrs. Banister hat damit überhaupt nichts zu tun«, sagte Angelica.
    »Womit?« fragte Kate. Sie sah auf und suchte Angelicas Blick.
    »Ganz ruhig, Angie«, sagte Patrick.
    »Tut mir leid«, sagte Kate. »Ihr könnt das glauben oder nicht, aber ich gebe mir alle Mühe, offen und ehrlich zu sein; mir quillt die Aufrichtigkeit förmlich aus allen Poren, trotzdem klingt alles, was ich sage, als wollte ich euch hinters Licht führen. Warum ist Kommunikation so verdammt schwierig?«
    »Weil Sie etwas herausbekommen wollen«, sagte Patrick. »Sie versuchen, uns zu manipulieren.«
    »So ein Quatsch«, sagte Kate. »Entschuldigung. Also, fangen wir noch mal von vorn an, Schritt für Schritt, und unterbrecht mich, wenn ich abschweife, das heißt, falls euch die Wahrheit überhaupt interessiert. Eure Generation behauptet das ja immer. Manchmal frage ich mich, ob es so etwas wie Generationen überhaupt gibt. Es ist, als spräche man von den Frauen, den Männern und den Kindern – wirklich alles Unsinn. Also, laßt uns anfangen.«
    Was mache ich überhaupt hier, fragte sich Kate. Ich taste mich durch einen Wall menschlichen Unglücks und versuche zwei junge Menschen zu erreichen, die mit gutem Grund zu der Überzeugung gekommen sind, daß kaum etwas im Leben wirklich das ist, was es zu sein vorgibt. Dennoch habe ich das Gefühl, Direktheit ist unsere einzige Hoffnung – den Dingen ins Gesicht sehen und nicht die Augen niederschlagen. Zweifellos wäre das alles in Esalen viel leichter, nackt vor der untergehenden Sonne oder ausgestreckt in Schwefelbädern – Kate hatte sich im Bekanntenkreis umgehört und war zu dem Schluß gekommen, daß Sonnenuntergänge und Schwefelbäder in allen Schilderungen eine Hauptrolle spielten. Ein Kissen, eine Matratze, engagierte Zuhörer – schließlich konnte man wohl kaum bei jeder Erziehungskrise, die in diesen unsicheren Zeiten entstehen mochte, nach Esalen fliegen oder Encountersitzungen veranstalten. Kate versuchte sich vorzustellen, sie selbst säße nackt in einem Schwefelbad (Wanne? Schlamm? eine Art Schwimmbecken?), gab es aber schnell wieder auf.
    »Angelica und ihre Freundinnen«, fing Kate an, »sowohl die aus Mrs. Banisters Schauspielgruppe als auch die vom ›Antigone‹ - Seminar, hatten vorsichtig mit einer Sache begonnen, die wir Encountergruppe nennen wollen. Am Anfang, glaube ich, war sie kein Mittel zur Aufarbeitung persönlicher Probleme, sondern sie sollte die Schülerinnen ermutigen, sich stärker in dramatische Situationen einzufühlen und dramatische Ausdrucksformen zu finden. Ich nehme an, im Zusammenhang mit dem Seminar haben diese mehr oder weniger informellen Gruppen angefangen, die ›Antigone‹ auszuagieren. Dieses Stück besitzt natürlich eine beachtliche Relevanz – verzeiht mir den Ausdruck – für unser heutiges Leben, und durch Patrick bekam es auch bald eine besondere Bedeutung für die Situation der Jablons.« Kate bemerkte, wie beide rot wurden; Patrick sah nach unten und kratzte an einem schmutzigen Zeh herum; Angelica biß sich auf die Lippen. Nicht weinen, betete Kate insgeheim; noch nicht.
    »Ich meine damit natürlich nicht, daß es irgendwelche Parallelen zwischen den Charakteren der ›Antigone‹ und den Mitgliedern der Familie Jablon gibt, aber gewisse Ähnlichkeiten drängen sich doch mit großer Deutlichkeit auf. Kreon, zum Beispiel, sagt so viele Dinge, die in den Sätzen eures Großvaters widerzuhallen scheinen: ›Noch werd’ ich jemals einen Feind des Landes mir / Zum Freunde wählen…‹
    ›Und wer des eigenen Landes Wohl nicht höher stellt / Als seine Freunde, diesen acht’ ich völlig nichts.‹
    ›Der Übel größtes ist die Zügellosigkeit: / Sie rottet aus die Städte, wandelt Wohnungen / In Wüsteneien… ‹ Ich könnte die Reihe noch fortführen; wir alle könnten das. Aber die Frage, die er im Hinblick auf Sie, Patrick, zu stellen scheint, ist auch Kreons Frage: ›So soll ich gar in meinem Alter noch Verstand / Von einem lernen, der so jung an Jahren ist?‹ Ich glaube, langsam und leidvoll

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